Sammlungen

Im 19. Jh. sammelten viele Psychiater_innen in Europa so genannte Irrenkunst, und es bestand ein Austausch darüber. Auch Schweizer Psychiater beschäftigten sich forschend mit diesen Werken: Walter Morgenthaler, Hans Steck, Hermann Rorschach, Charles Ladame, Moritz Tramer, Eugen Bleuler, Carl Gustav Jung, Arthur Kielholz, Karl Gehry, Hans Bertschinger, Roland Kuhn und andere. Die Sammlungen, die sie anlegten, sollen bewahrt werden und zu weiteren interdisziplinären Untersuchungen anregen.

Künstlerisches Schaffen (Texte, Bilder, Objekte) in psychiatrischen Anstalten wurde im 19. Jahrhundert gesammelt und diskutiert. Der Turiner Kriminalanthropologe Cesare Lombroso (1835–1909) legte eine Sammlung von Werken an, die er aus Anstalten in Italien, Deutschland und Frankreich erhalten hatte. Die Sammlung in Heidelberg wurde 1919–1921 vom Arzt und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn im Auftrag der Klinik zu einem internationalen Bestand von mehreren Tausend Werken ausgebaut. Aus der Schweiz kamen besonders viele Werke nach Heidelberg: aus den Anstalten Waldau und Münsingen, Préfargier, aus der Pflegeanstalt Rheinau im Kanton Zürich, aus Herisau, Münsterlingen, der Anstalt Breitenau in Schaffhausen und andern. Alle diese Anstalten verfügten selbst über einen Bestand an Werken, die meistens in der Krankenakte lagen.

Im Forschungsprojekt wurden 19 Inventare erstellt: Genf, Lausanne, Wallis, Bern (zwei Anstalten), Neuchâtel (zwei Anstalten), Baselland, Aargau, Zürich (zwei Anstalten), St. Gallen (zwei Anstalten), Appenzell AR, Thurgau, Schaffhausen, Graubünden (zwei Anstalten). Das 19. Inventar stellt der Nachlass des Psychiaters Hermann Rorschach dar (im Rorschach-Archiv, Institut für Medizingeschichte der Universität Bern).

In den psychiatrischen Klinken Luzern und Perreux fanden sich praktisch keine persönlichen Dokumente mehr in den Krankenakten; dieselbe Auskunft erhielten wir von den Kliniken in den Kantonen Solothurn und Berner Jura. In den Kliniken Basel (Stadt), Zug und Mendrisio war keine Recherche im Archiv möglich. Die Sammlungen aus Genf und Lausanne wurden in den 1970er Jahren zum Teil der Collection de l’Art Brut in Lausanne übergeben, in Fribourg führte die Collection de l’Art Brut 2008 eine Recherche durch. Manche Bestände sind klein, andere (Bern, Königsfelden) umfassen mehrere Tausend Werke. Besonders vielfältig sind jene Sammlungen, die ausserhalb der Krankenakten angelegt wurden, da sie auch grössere Formate, umfangreiche Werkgruppen und dreidimensionale Objekte (Konstruktionen, textile Objekte) enthalten: Waldau, Königsfelden, Rheinau. Aber auch Bestände mit einigen Hundert Werken (Breitenau, Münsterlingen, Herisau, Cery, der Nachlass des Psychiaters Hermann Rorschach und andere) sind sehr bemerkenswert.

Das Forschungsprojekt kontaktierte alle Kantonalen Kliniken in der Schweiz und wir erhielten Zugang zu den meisten Archiven. Wir möchten ein Bewusstsein dafür wecken, dass die Bestände kostbar sind, unter anderem deswegen, weil sie die Situation der Ausgrenzung verhandeln. Die Veröffentlichung der Forschungsresultate soll dazu beitragen, die Werke zu bewahren und weitere interdisziplinäre Untersuchungen anregen.