Zoom-Vortrag von Hendrik Höcke am 26. Mai 2021 bei Destination Digital
«Darknet» – den Begriff kennt man aus den Medien, aber eigentlich nur im negativen Sinn: als Synonym für einen Tummelplatz von Kriminellen. Wie gross das Informationsbedürfnis hier ist, zeigte sich an dem ausserordentlich grossen Interesse am Vortrag von Hendrik Höcke, IT-Sicherheitsbeauftragter an der ZHdK, der Einblicke in diese Welt versprach.
Zu Beginn erklärt Hendrik Höcke die Begrifflichkeiten und räumt gleich mit gängigen Mythen auf, etwa mit der Ansicht, dass man sich, sobald man sich im Darknet bewegt, automatisch in die Illegalität begibt. Natürlich gibt es die Möglichkeit des Missbrauchs, aber illegal ist nicht das Darknet an sich; kriminell sind nur gewisse Arten der Nutzung. Anhand anschaulicher Illustrationen geht Hendrik Höcke anschliessend auf die Struktur des Internets ein und erläutert die einzelnen Bereiche und wie diese zusammenhängen: das «Surfacenet», das wir alle kennen, das «Deepnet», wo nicht indexierte Inhalte wie Online-Banking verortet sind, das «Freenet», das keine Schnittstelle zum Surfacenet aufweist – und eben das Darknet.
Aber wie kommt man überhaupt ins Darknet? Hendrik Höcke zeigt hierzu den «Tor-Browser», der 2008 entstanden ist und auf Firefox basiert. Dieser bietet drei Sicherheitsstufen, die sehr viel restriktiver sind als etwa das «private Fenster» in einem gewöhnlichen Browser. Hendrick Höcke geht auch kurz auf die Funktionsweise des Darknets via «Onion-Routing» ein und erklärt, wie Informationen in «Circuits» über je mindestens drei verschiedene «Nodes» weitergegeben werden, so dass Standort und Identität des Senders und Empfängers nicht preisgegeben werden. Die Metapher der «Onion» rührt von den verschiedenen «Schalen» der Verschlüsselung in diesem Prozess.
In der praktischen Demonstration des Tor-Browsers zeigt Hendrik Höcke dann auch, wie man sich die Nodes in einem Circuit anzeigen lassen kann. Diese Nodes werden zufällig gebildet; falls eine Verbindung zu langsam sein sollte, kann man den Circuit jederzeit neu bilden. Die Nodes, so erklärt Hendrik Höcke weiter, werden von Freiwilligen betrieben; der Quellcode ist öffentlich, so dass also grundsätzlich jeder einen Node einrichten kann. Die Anzahl der Nodes in einem Land gibt dann auch Aufschluss über die Hauptbetreiber des Darknets, das zwischen zwei und zweieinhalb Millionen Nutzende verzeichnet: die USA und Deutschland sind führend; in der Schweiz wird die weltweit viertgrösste Zahl an Exit Nodes betrieben.
Im Anschluss an diesen Überblick über die Technik und Funktionsweise des Darknets widmet sich Hendrik Höcke der Frage nach dessen Zweck und sinnvoller Nutzung. Hier steht das Recht auf Anonymität an erster Stelle, das in unserer alltäglichen Internetnutzung nicht mehr gewährleistet werden kann. Als Beispiele für die Mächtigkeit des digitalen Fingerabdruckes nennt Höcke Social-Media-Seiten, die unsere Likes, Interessen und Fotos analysieren und so gezielt Werbung schalten, oder die grossen Online-Shopping-Sites, die aufgrund unserer Daten Predictions erstellen, wann wir geneigt sind, etwas zu kaufen. Mit gängigen Browsern setzt man sich also grundsätzlich einer Vorkategorisierung aus, wohingegen das Darknet einen «reinen» Blick auf die Inhalte im Netz ermöglicht. Ein weiteres wichtiges Argument für die Nutzung des Darknets ist die journalistische Freiheit, gerade in Ländern, wo diese nicht gewährleistet ist, oder für Whistleblower wie Edward Snowdon.
Hendrik Höcke verschweigt aber nicht, dass sich das Darknet natürlich auch missbrauchen lässt: der Schatten der Anonymität schützt eben auch kriminelle Machenschaften wie Identitätsdiebstahl, Drogengeschäfte und Auftragsmord. Derlei Netzwerke auszuheben ist für die Behörden extrem aufwändig; Fahndungserfolge gehen meist auf Fehler der Kriminellen zurück, wenn sich diese etwa Kryptowährungen auszahlen lassen wollen.
Wofür ist also der Tor-Browser zu empfehlen? In dieser Frage teilt Hendrik Höcke seine eigenen Erfahrungen und räumt gleich vorweg ein, dass der Tor-Browser nicht so komfortabel ist wie ein gewöhnlicher: er ist weniger responsiv und unter Umständen langsamer, schränkt das Surfverhalten deutlich ein und erlaubt zum Beispiel keine Passwortmanager. Viele Seiten im Darknet sind volatil. Man muss also damit rechnen, dass sie plötzlich wieder verschwinden, und die Werbung im Darknet ist meist stark pornografisch. Und dennoch spricht einiges für den Tor-Browser. Ein eindrückliches Beispiel ist etwa eine einfache Google-Suche. Eine solche zeigt im Darknet ganz andere Suchresultate – ohne Vorfilterung und ohne Werbung. Auch viele andere kommerzielle und Nachrichtenseiten, etwa die New York Times, betreiben eine Torinstanz, die ungefilterten Zugriff auf die Inhalte erlaubt. Der Tor-Browser leitet in diesem Fall automatisch auf die Torinstanz der Seite weiter. Andererseits gibt es auch Inhalte, die im Darknet nicht sichtbar sind. Dies liegt jedoch nicht an der Funktionalität des Tor-Browers, sondern an den Betreibern der Seite, die so finanzielle Interessen schützen möchten. In erster Linie empfiehlt Hendrik Höcke den Tor-Browser für Nachrichten, um die «Vorkategorisierung» durch die Nachrichtensender zu umgehen. Die Tatsache, dass im Darknet Peaks auftreten, sobald in einem Land die journalistische und Pressefreiheit eingeschränkt wird, zeigt sehr eindrücklich, wie wichtig das Darknet für die Wahrung der demokratischen Grundsätze ist. Und so schliesst Hendrik Höcke den Vortrag mit dem Fazit, dass es in der westlichen Welt, wo ein historisch gewachsenes und beinahe selbstverständliches Demokratieverständnis vorherrscht, nicht immer einfach ist, den Nutzen und die Notwendigkeit des Darknets zu vermitteln. So führt uns dieser «Einblick in die verrufene Seite des Internets» nochmals eindrücklich vor Augen, wie leicht wir Gefahr laufen, aus Bequemlichkeit unsere demokratischen Rechte zu verlieren.
Hendrik Höcke ist IT-Sicherheitsbeauftragter der ZHdK.