Aleks: um die frage von vorhin nochmal zu stellen: abgesehen vom zusehen, WAS machst du da.
Kathrin: als ob Zusehen nicht schon anstrengend genug wäre.
Kathrin: Zusehen, Nachdenken, Aufschreiben.
Kathrin: ich erwerbe Wissen über das Gebäude, das alle anderen auch haben, aber a) verteilt und b) implizit.
Kathrin: ich versuche, es in mir drin zu versammeln und explizit zu machen.
Aleks: wo schreibst du denn auf?
Kathrin: im Blog, der erste Beitrag kommt gleich.

Wenn ich auf die Frage, was ich in Zürich mache, antworte, ich sei „Observer in Residence“, muss ich fast immer erklären, warum die Schweizer Steuerzahler für so etwas Geld ausgeben. Ich bin grundsätzlich ohne weiteres in der Lage, bei Bedarf „mein Auftraggeber hat zu viel Geld und musste es schnell für irgendwas hinauswerfen“ zu sagen. Hier verhält sich die Sache aber anders. In den letzten Jahren bin ich öfter mit Observertätigkeiten beauftragt worden, und das Beobachten erscheint mir inzwischen wie einer der sinnvolleren Berufe, die man so ausüben kann.

Ein Observer ist jemand, der am Ufer eines Flusses, sagen wir: der Limmat, steht und andere vorbeischwimmen sieht. Vieles an dieser Tätigkeit wird sich ihm dabei nicht erschliessen, aber auch den Schwimmern entgeht vieles, denn sie sind beschäftigt, und der Fluss fliesst schnell. Wer am Ufer steht, hat mehr Zeit, über das Geschehen nachzudenken. Wo ein einzelner Schwimmer auf die Strömung reagiert, sieht der Beobachter immer wieder dieselben Bewegungen im Wasser. Wechselnde Fischreiher setzen sich auf dieselben Aussichtspunkte.

Nur selten verhalten sich Beobachter zu Beobachteten so wie Zuschauer und Schwimmer im ersten Beispiel, wo die beiden ja leicht die Rollen tauschen könnten, um auch zu den Erkenntnissen der anderen Seite zu gelangen. Meist ist das Beobachtete eher ein Reiher, in den man nicht hineinschlüpfen kann. Ich kann keine Schweizerin werden, ich kann nicht an der ZHdK studieren und auch nur nebenbei und aushilfsweise dort lehren. Und Reiher bloggen nie, man kann froh sein, wenn sie sich hin und wieder an einem Webcam-Projekt beteiligen. Selbst dann muss man das Beobachten immer noch selbst erledigen.

Wir sind alle für die Gegenwart gleichermassen blind und werden – wenn überhaupt – erst mit einigem zeitlichen Abstand herausfinden können, was eigentlich die wesentlichen Aspekte des Umzugs ins Toni-Areal waren, was sich für die Mitarbeiter und Studierenden dadurch geändert hat, welche Innovationen Verbesserungen und welche Fehler waren. Aber eigentlich wüsste man ja doch gern schon jetzt etwas darüber und nicht erst in zwanzig Jahren. Weil ich von allen Tätigkeiten und Departementen im Gebäude gleich wenig verstehe, weil ich niemandem besonders verpflichtet bin, weil ich die Schweiz und das Toni-Areal quasi vom Ufer aus betrachten kann, habe ich statt zeitlichem wenigstens geistigen Abstand zum Geschehen. Und ausserdem etwas mehr Zeit, weil ich weniger feste Termine habe als die meisten anderen Menschen im Gebäude. Es gibt so viel zu sehen, wenn man nur einen Bruchteil davon gründlich beobachten wollte, käme man zu nichts anderem.

Auf dem Foto beobachte ich die Wand. Es ist eine sehr interessante Wand. Aber davon später mehr.