Im Tagesanzeiger und, wie man mir erzählt, auch irgendwo im Fernsehen wurde beklagt, das teure neue Toni-Areal sei missraten, insbesondere die Mensa zu klein: „Offensichtlicher scheint ein weiterer Mangel zu sein. Die Mensa mit ihren 90 Plätzen für Tausende Studenten ist viel zu klein (siehe auch Box).“ Es ist aber eigentlich nie etwas offensichtlich, schon gar nicht das Offensichtliche. Ich war auch überrascht, als ich die Mensa zum ersten Mal sah. Von irgendwem hörte ich, sie sei ursprünglich grösser geplant gewesen, aber das Museum für Gestaltung nebenan habe dann doch mehr Platz gebraucht. (Ich finde darüber noch mehr heraus.)
Allerdings habe ich jetzt fast täglich dort gegessen, und zwar in der Mensa, nicht auf den Ausweichsitzplätzen des Cafés (10 Meter von der Mensa entfernt) oder des Stammtischs (20 Meter). Bisher hatte ich kein Problem, einen Sitzplatz zu finden. Vielleicht war ich unbewusst zu seltsamen Bohème-Zeiten essen – die Mensa hat von 11:30 bis 14:00 geöffnet, der Seltsamkeit sind also enge Grenzen gesetzt –, deshalb habe ich heute die Sitzplatzbelegung alle fünfzehn Minuten nachgezählt. (Das Wetter war mässig, ich werde die Zählung trotzdem vorsichtshalber demnächst noch mal bei Kälte oder Regen wiederholen; vielleicht isst ja im Moment noch die halbe ZHdK auf der Dachterrasse.)
(Anklicken zum Vergrössern. Die Zahlen sind hier zu sehen: http://goo.gl/6HM3ML. Weil auch auf Abbildungen das Offensichtliche nicht offensichtlich ist: Man erkennt hier, dass es auch in der Zeit der höchsten Auslastung freie Sitzplätze an allen drei Orten gibt, auch in der Mensa selbst.)
In Bayern sagt man zu solchen Phänomenen: Wanns alle einigangadn, na gangadns ned alle eini. Weis oba ned alle einigengand, gengands alle eini. (Übersetzung von dissent.is bei Twitter: Wenn alli ine gönd, gönd nöd alli ine. Wöll abr nöd alli ine gönd, gönd alli ine.) Man muss dazu anmerken, dass schon vor Erreichen der theoretischen Sitzplatzzahl gefühlt alle Plätze belegt sind. Der Stammtisch zum Beispiel wirkt optisch voll, wenn nur 110 seiner 140 Plätze belegt sind. Das gilt umso mehr, wenn man zu viert oder auch nur zu zweit zusammensitzen möchte. Wer aber allein zum Essen geht, kann das bedenkenlos auch zu den Hauptverkehrszeiten tun.
Ebenfalls anzumerken ist, dass in der Mensa zu jeder Zeit etwa fünfzehn Plätze mehr frei gewesen wären, wenn nicht so viele Leute ihre Taschen auf dem Stuhl neben sich aufbewahren würden. Das ist aber vielleicht gar keine Rücksichtslosigkeit (es ist schliesslich die Schweiz), sondern nur der Versuch, nicht ganz so intim mit den Fremden rechts und links zu werden (es ist schliesslich die Schweiz).
Im Café scheint mir das günstigste Verhältnis zwischen theoretischen und gefühlten freien Plätzen zu herrschen: Durch die lockere Verteilung der Tische und das Angebot von sowohl Bänken (gut für Gruppen, denen es nichts ausmacht, enger zu sitzen) als auch Stühlen (eindeutig freie Plätze ohne Feilschen mit den Nachbarn) sehen die freien Plätze hier auch zur Rush Hour wirklich wie freie Plätze aus und nicht wie gedrängte Notlösungen.
Falls der Hochbetrieb zwischen 12.15 und 12.45 daher rührt, dass viele Leute im Gebäude nur von 12 bis 13 Uhr Mittagspause haben (reine Spekulation, ich weiss darüber noch nichts): Gibt es einen konkreten Grund, warum die Mittagspause an einer Hochschule nicht entzerrt werden kann? Es ist ja nicht so, als würde hier im Akkord am Fliessband gearbeitet.
Vermutlich könnte man die Auslastung ohne Nachzählen auch einfach am Geräuschpegel ablesen. Und dann irgendwo auf der ZHdK-Website anzeigen, mit was für Wartezeiten und Sitzplatzchancen zu rechnen ist, wenn man jetzt essen geht (abhängig von der Länge des Wegs zur Mensa vom jeweiligen Aufenthaltsort auf dem Gelände natürlich).
Matthias Schwarz
23. September 2014 — 8:47
Super Recherche und Kommentar! Merci!
Stefan Wagner
23. September 2014 — 9:21
Toll gemacht – auch die Idee am Ende überzeugt.
Frank
23. September 2014 — 11:40
Schön recherchiert und dem Tagesanzeiger mit einfachen Mittel die Butter von Brot genommen! Das Zitat in der Mitte des Artikels ist allerdings nicht bayerisch sondern schwäbisch.
Julia
23. September 2014 — 12:09
Das mit dem „gefühlt voll“ trifft ins Schwarze 😉 – Das ist einfach so und sollte bei der Planung immer mitbedacht werden.
Aber sind denn in der Schweiz die Semesterferien schon vorbei? Wenn man jetzt in Deutschland in eine Uni-Mensa geht, ist da natürlich auch viel Platz, weil ja das Semester noch gar nicht angefangen hat (in meiner „Hausmensa“ würde ich mal schätzen, dass in der vorlesungsfreien Zeit nur ca. ein Drittel der sonstigen Anzahl dort aufschlägt).
Kathrin Passig
23. September 2014 — 13:53
Julia: Das Semester hat am 16. angefangen.
Frank hat recht, und ich werde das westbayrische „nei“ gleich korrigieren. Das ist vermutlich dem Hybridbayrisch meiner Familie geschuldet (Mutter aus dem Allgäu), oder meinem schlechten Gedächtnis (schon so lange ausgewandert).
Monika Mäder
23. September 2014 — 21:33
Super! Die Freie-Plätze-Statistik werde ich bei uns im Büro aufhängen – danke!