Emilie

Emilie ist 10 Jahre alt. Sie sitzt trotzig, die Arme verschränkt auf ihrem Zimmerboden. Ihre Mutter zwingt sie zum Aufräumen. Sie hat keine Lust. Gar keine Lust. Ihre Mutter sagt, sie dürfe erst wieder rauskommen, wenn sie ihr Zimmer aufgeräumt hat. Sie schaut böse zum Bett hinüber. Es ist voll mit Spielsachen, Büchern, Kleidern, wie eigentlich alles in ihrem Zimmer. Sie hat Hunger. Draussen ist es bereits dunkel. Wahrscheinlich wäre es nun Zeit fürs Abendessen. Ihr Bauch knurrt. Etwas funkelt unter ihrem Bett. Ist es möglich? Ein goldenes, matt metallisch glänzendes Etwas mit rotem Schriftzug. Sie hechtet zu ihrem Bett. Nimmt das Etwas hervor. Snickers steht darauf. Hastig fingert sie an der Verpackung herum. Immer wenn es schnell gehen muss, … Sie schnaubt, fängt an mit den Zähnen am goldenen Papier herum zu reissen. Nichts. Da, jetzt. Endlich. Ein kleiner Ecken hat sich losgerissen. Sie bohrt mit ihrem Finger in die Wunde. Der Riss wird grösser. Ein braunes süsslich duftendes Inneres kommt zum Vorschein. Ein Speichelfaden läuft aus ihrem Mundwinkel heraus. Sie zieht die störende Hülle herunter, führt ihre Hand zum Mund und beisst kräftig in das braune Innere. Süss, cremig, klebrig, knusprig, nussig, süss, süss, süss. In ihrer Hand liegt nur noch Hülle; golden, silbrig, rot, schimmernd, zerrissen. Hunger hat sie immer noch. Aber nachgeben will sie nicht.

4 Gedanken zu „Emilie“

  1. Yes, Yes! Hunger. Angst, ich friere kalt. Nicht nachgeben, kleine Prisonnière! Aber auf dich wartet der Weg des Canossa. Arme Knielein. Guter Spannungsaufbau, Exposition verlangt nach Konfrontation. Oder?

  2. Gefällt mir sehr. Müsste eventuell jetzt weitergehen – oder besser gesagt, das wäre, noch etwas umgeschrieben, ein guter Anfang einer Kurzgeschichte oder eines Romanes. Weiter bitte!

  3. Emilie

    2.Abschnitt

    Elsa starrte in den Abfluss. Da geht’s runter. Ein Loch, das alles verschlingt. Fast alles. Die grossen Stückchen sammelten sich im Loch. Doch Elsa war in Gedanken. Hätte sie anders reagieren sollen? Nein, das musste mal getan werden. Ihre Tochter hatte schon seit Wochen ein Zimmer, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte, wie IHRE Mutter zu sagen pflegte damals bei ihr. Sie schmunzelt. So wie’s aussieht, kommt Emilie ganz nach mir. Gluck, Gluck. Elsa erwacht aus ihren Gedanken. Der Abfluss gluckste noch ein wenig und schwieg dann. Das Wasser hatte sich schon 3cm an der Wand hochgeklettert. Elsa tauchte ihre Finger zum Abflussloch, griff nach den grossen glitschigen Stückchen und gräbt sie heraus. Fröhlich plätschert das Wasser herunter. Wo war sie? Emilie kommt nach ihr. Auch sie hatte lernen müssen ihr Zimmer aufzuräumen. Plötzlich erinnert sie sich an einen Artikel, den sie mal gelesen hatte. Da drin stand, dass Eltern die Namen ihrer Kinder nach den eigenen Wünschen für ihr Kind aussuchen. Logisch. Klar. Emilie konnte nicht Laura oder Klara oder Sara heissen. Sie musste Emilie heissen.

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