Ich stehe mit der fotografierenden Angela Leinen und einem unbekannten Fotografen vor dem Tanzsaal mit dem grossen Fenster. Drinnen gehen die Leute aus der Ausbildung für Zeitgenössischen und Urbanen Bühnentanz (so steht es jedenfalls auf dem Pullover ihres Trainers) gerade an die Arbeit, und wir raten, was wohl ihre Aufgabenstellung gewesen sein mag. „Ich glaube, es war ‚Stellt das Ebola-Virus dar'“, sage ich. „Ich glaube, es war ‚Macht euch irgendwie warm'“, sagt Angela. „Weisst du zufällig, ob die Scheibe von innen verspiegelt ist?“, frage ich den Fotografen, „ich habe mich bisher nicht getraut, reinzugehen und von innen nachzusehen. Aber eigentlich brauchen die doch Spiegel zum Trainieren, die andere Wand ist ja auch verspiegelt. Und sie reagieren überhaupt nicht auf das, was draussen passiert.“
Der Fotograf weiss es auch nicht. Ich denke über experimentelle Beantwortung der Frage nach, aber wahrscheinlich ist es am Ende doch einfacher, reinzugehen und nachzusehen, als Leute zu finden, die bereit sind, sich vor dem Fenster im Dienste der Forschung nackt auszuziehen. Der Fotograf sagt noch eine Weile: „Aber der hat uns gerade angeschaut“, und ich sage „Der schaut uns nicht an, der schaut sich im Spiegel an.“ Dann finden Angela und der Fotograf heraus, dass sie aus derselben Stadt kommen und viele gemeinsame Freunde haben, und das beschäftigt alle erst mal mehr als die Tanzfragen.
Ausserdem steht die Tür zum Orgelsaal ausnahmsweise offen. Wir schlüpfen hinein, und ich bekomme gleich nasse Augen, weil darin so gesungen wird … eigentlich interessiere ich mich nicht für Gesang, schon gar nicht für Gesang mit Vibrato, aber Musik kann eben manchmal auch dann was, wenn man gar nichts von ihr wissen will.
(Foto: Angela Leinen, inneresimone.tumblr.com)
Etwas später begegnen wir im Gang einem der Tänzer.
Fotograf: Könnt ihr uns eigentlich sehen, wenn wir euch zuschauen? Oder ist die Scheibe verspiegelt?
Tänzer: Xfjhkl fxdrglm qzxcvb.
Fotograf: Ich bin leider nicht von hier.
Tänzer: Wir können euch schon sehen.
Ich: Oh.
Fotograf: Aber ihr seid dran gewöhnt, oder? Wenn ihr auftretet, schauen euch ja auch alle zu.
Tänzer: Nein, wir sehen das Publikum sonst eigentlich nie. Der ganze Zuschauerraum ist ja dunkel normalerweise.
Fotograf: Und wie ist das dann für euch mit dem grossen Fenster?
Tänzer: Schwierig. Man darf sich nicht ablenken lassen, sonst verpasst man alle Anweisungen. Aber hier geht es eigentlich noch. Wir tanzen beim CreativeCity-Fest nächste Woche auf der Kaskade, und wenn wir da üben, das ist wirklich anstrengend. Da gehen immer Leute durch, und es sind immer irgendwelche Geräusche, da kann man sich ganz schlecht konzentrieren.
Wir: Es hat jedenfalls sehr gut ausgesehen alles! Danke!
(Gedächtnisprotokoll)