„Just calling it ‚feedback‘ doesn’t mean that it has actually fed back.
It hasn’t fed back until the system changes course.
Up to that point, it’s merely sensory input.“
Das wesentliche Erklärbuch für den Umzug ins Toni-Areal (und eigentlich auch für alles andere) ist „Systemantics“ von John Gall, ein seit 1975 in zahlreichen Auflagen erschienenes Werk. Es handelt davon, dass es im Wesen von Systemen liegt, nicht so zu funktionieren, wie man es sich von ihnen wünscht. Systeme folgen ihren eigenen Gesetzen und Interessen, die nicht deckungsgleich sind mit den Interessen ihrer Nutzer. Und man darf sich nicht auf ihre Selbstauskünfte verlassen: „People in systems do not do what the system says they are doing. The system itself does not do what it says it is doing.“
ZHdK-Rektor Thomas Meier äusserte beim Info-Anlass zum falschen Amok-Alarm: „Ich stelle einfach fest, seit wir in diesem Areal sind, dass Sicherheitssysteme verunsichern.“ Diese Problematik wird in „Systemantics“ ausführlich behandelt: „Systems tend to oppose their own proper functions“. Ein Beispiel, nicht aus dem Buch, sondern aus dem November 2014: „High Walls are High Risk„, Hausbesitzer in Durban leben offenbar gefährlicher, wenn sie ihr Haus mit hohen Mauern umgeben. „Whatever the system has done before, you can be sure it will do it again“, kündigt Gall an, und „The crucial variables are discovered by accident“. Sein eigenes Beispiel lautet:
„Computers are larger, faster, and more reliable than ever; yet one of the best, employed for National Defense, mistook the rising Moon for a flight of hostile missiles and sent an attack warning to the nuclear-missile silos. More recently, on June 3, 1980, three false alarms of enemy missile attack were issued in rapid sequence, prompting the Secretary of Defense to announce that ‚the System is working the way it is supposed to.‘ The false alarms were later traced to a malfunctioning 46-cent computer chip. It was also revealed that the System did not critique its own alarms to evaluate their believability. Indeed, the alarms could not even be monitored at their point of origin.“
Auf der 4. Etage gibt es eine Tafel, an die man einige Wochen lang Feedback auf Karteikarten hängen konnte. Gall weist darauf hin, dass man den Begriff „Feedback“ nicht überstrapazieren sollte: „Just calling it ‚feedback‘ doesn’t mean that it has actually fed back. It hasn’t fed back until the system changes course. Up to that point, it’s merely sensory input.“ Inzwischen ist diese Wand zur allgemeinen Pinnwand umgewidmet und verweist auf www.zhdk.ch/?feedbackwand, eine über die Suche unauffindbare Seite.
Wenn man die Sprache des Systems spricht, sind Verbesserungen möglich. In dem Raum, in dem mein Prokrastinationsseminar stattfand, war die Lüftung so laut, dass ich die Studierenden aus der hinteren Reihe kaum verstehen konnte. Nach einigen Wochen besserte sich die Lage, weil M., ein Industriedesigner, das Lüftungsgitter mit Pappkartonstücken abdeckte: „Wir sind Industriedesigner, wir verbessern die Welt.“ Natürlich wurden die Pappkartonstücke bis zur nächsten Woche wieder entfernt, ebenso wie die Ersatzkartonstücke, die M. installierte. Eines Tages gegen Ende November aber war das Lüftungsproblem verschwunden: Eine unbekannte, im Umgang mit Systemen erfahrene Person hatte ein Stück farblich passenden Karton genau richtig zugeschnitten und mit weissem Klebeband sauber über der Lüftung angebracht. Niemand entfernt diese Abdeckung, weil es ja sein könnte, dass sie von Befugtem Personal absichtlich angebracht wurde.
Behoben war das Problem damit natürlich nicht. Einer der zentralen Systemantics-Begriffe ist die „Anergie“, eine Art Energie des Nichtfunktionierens. Das Law of Conservation of Anergy besagt: „The total amount of anergy in the Universe is constant.“ Nichtfunktionieren lässt sich nur verschieben, nicht beseitigen. Seit die Lüftung professionell verklebt ist, kommt irgendwoher ein leises Fiepen, und im Raum herrscht ein Unter- oder vielleicht auch Überdruck. Wenn jemand die Tür öffnet, verstummt das Fiepen, es knackt in den Ohren, und alle rufen: „Offen lassen!“ Die letzten Seminarsitzungen fanden bei geöffneter Tür statt.
Trotz der Anergieverschiebung bin ich voll Ehrfurcht vor den Fähigkeiten des unbekannten Systemflüsterers. Seine Erkenntnis, dass man mit dem System in dessen eigener Sprache kommunizieren muss, nehme ich aus dem Toni-Areal mit, ebenso wie die Einsicht, dass es keine kleinen Probleme gibt. Es gibt nur kleine Symptome, hinter denen bei näherer Betrachtung mittelgrosse Probleme stehen, und wenn man ganz genau hinsieht, hängen die mittelgrossen Probleme mit einem zentralen Konflikt zusammen.
Aus dem Gedächtnis zitiertes Beispiel eines ZHdK-Mitarbeiters: „Wenn wir aufs Klo gehen, nehmen wir einen Holzkeil mit. Damit machen wir die Tür von innen zu, weil die Türschlösser nicht funktionieren. Ich könnte das in fünf Minuten beheben, aber wir dürfen nichts ändern, denn die Türschlösser stehen auf der Mängelliste der Allreal, und als ich diese Liste zuletzt gesehen habe, standen da noch zwanzigtausend andere Punkte drauf.“ Auch hinter meiner Unfähigkeit, im Café den Kaffee in einer Tasse statt in einem Pappbecher zu bekommen, steht offenbar nicht, wie ich bisher dachte, meine mangelhafte Beherrschung der Landessprache, sondern die Tatsache, dass ich zwar in beiden Fällen dasselbe für den Kaffee bezahle, beim Pappbecher aber statt 8% Mehrwertsteuer nur der reduzierte Satz von 2,5% abgeführt werden muss. Und die harmlose Sache mit dem Beamerknopfkästli erwies sich als etwas komplizierter beziehungsweise in Wirklichkeit noch viel komplizierter, aber einen dritten Beitrag darüber schreibe ich nicht.
Im Nachhinein ist mir klar, dass ich aus demselben Grund schon vor Jahren aufgehört habe, auf die Technikprobleme von technisch unbedarften Menschen mit „das ist doch ganz einfach, das haben wir gleich“ zu reagieren. Denn hinter dem kleinen Problem steckt ein grosses, man hat es nie gleich, und der technisch unbedarfte Mensch sagt zufrieden „Siehst du, so einfach ist das nämlich wirklich nicht!“.
Ich schreibe es vorsichtshalber explizit dazu, um nicht wieder überarbeitete Menschen noch unglücklicher zu machen: Dieser Beitrag ist keine Klage darüber, dass im Toni-Areal irgendetwas nicht funktioniert. Er handelt davon, dass Systeme eine Eigendynamik und grosse Systeme eine grosse Eigendynamik haben. Wer in ihnen herumläuft und „das kann doch nicht so schwer sein“, „da müsste man doch nur mal“ und „aber mich fragt ja keiner“ sagt, kann genausogut gegen die Schwerkraft protestieren. Wobei gegen die Schwerkraft wirklich zu selten protestiert wird. Ich schreibe gleich mal ein Ticket.
Kommentare von Kathrin Passig
In der Sowjetunion
Danke, Barbara, danke, Thomas! Ist beides im Beitrag korrigiert.
Gewaltfreie Kommunikation mit dem Beamerknopfkästli
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