Ich suche die Faulheitsberatung im Hospiz der Faulheit auf, das leider nur während der Nachhaltigkeitswoche existiert. Vorher habe ich länger mit F. darüber geredet, in welcher Frage ich mich faulheitsberaten lassen soll, und mich schließlich für „Wie viel arbeite ich eigentlich, und wie soll ich das wissen?“ entschieden. Die Behauptung „ich arbeite ständig“ kommt mir genauso glaubhaft vor wie „ich arbeite nie“. Es ist früher Nachmittag, und ich war bis gerade eben mit F. in der Sauna im Seebad Enge, eventuell habe ich also noch gar nicht gearbeitet. Andererseits haben wir einen Großteil der Zeit über die Arbeit geredet, und Blogbeiträge für Toniblog und Techniktagebuch habe ich vorher auch schon geschrieben. Vielleicht war ich also auch die ganze Zeit im Dienst. Andererseits ist Bloggen ja eigentlich keine richtige Arbeit. Wiederum andererseits kann Bloggen aber ganz schön mühsam sein. Allein schon das schlechte Gewissen, weil die Schweiz mir so viel Geld dafür bezahlt, macht mich ganz müde. F. redet auf mich ein: Das sei ein ganz normales Schweizer Honorar, und als Gewerkschafterin ist sie der Meinung, dass man allen dasselbe bezahlen muss, sogar dann, wenn sie aus Berlin kommen.

Ich brauche die Faulheitsberatung also dringend. Im Hospiz (Raum 7D04) ist es sehr gemütlich, es läuft leise Musik, es gibt einen Kühlschrank mit Bier, Teppiche auf dem Boden, Matratzen und Kissen. Erst will ich den Beraterinnen meine Frage gar nicht stellen, denn dann müssten sie ja arbeiten, anstatt faul herumzuliegen. Versehentlich kommen wir doch ins Gespräch. Ich gebe zu, dass ich eigentlich zum Arbeiten gekommen bin, weil das Beobachten des Faulheitshospizes zu meinen Observeraufgaben gehört. Das macht nichts, sagt die Faulheitsberaterin, für sie sei es ja auch Teil ihrer Arbeit, so als Kunstprojekt.

Im Hintergrund wird geschlafen. Meine Faulheitsberaterin und ihre Kollegin sind auch müde, sie haben zu wenig geschlafen, der Betrieb des Hospizes scheint anstrengend zu sein. Andere Gäste kommen, diskutieren eine Weile mit und gehen wieder. Damit es nicht zu sehr nach Arbeit aussieht, habe ich das Gespräch weder aufgezeichnet noch Notizen gemacht. Eine Teilnehmerin stellt die These auf, dass es keine Arbeit ist, wenn man das macht, was man will. Ich protestiere, denn ich habe fast mein ganzes Berufsleben lang gemacht, was ich wollte, und Arbeit war es trotzdem. Ich ärgere mich immer, wenn ich eins der vielen Poster mit der Aufschrift „Do what you love and you’ll never work a day in your life“ sehe, weil das nämlich einfach nicht stimmt. Ich glaube, diese Poster werden von Grafikdesignerinnen gemacht, die eigentlich lieber Staatsanwältinnen wären oder Aquaristik-Fachverkäuferinnen. Sobald man den neuen Beruf dann ergreift, wird er zur Arbeit, und ab sofort ist Grafikdesign ein Freizeitvergnügen, nach dem man sich sehnt.

Außerdem sprechen wir über Denkfaulheit: Ob man weniger denkfaul sein solle oder nicht doch eher auch die Denkfaulheit zu rehabilitieren versuchen, so wie die körperliche Faulheit. Wir entwickeln unter diesem Aspekt ideale Kunstprojekte, die weder beim Ausdenken noch beim Betrachten oder Rezensieren geistige Anstrengung erforderlich machen, kommen aber bald zu dem Schluss, dass diese Kunstprojekte bereits von anderen, fleißigeren Menschen als uns umgesetzt worden sind.

Schließlich scheitern wir an der Frage, ob es überhaupt ein Nichtstun gibt und man nicht doch gerade beim Nichts-Tun und Nichts-Denken versehentlich buddhistisch erleuchtet werden kann und damit sehr viel geleistet hat. Mein Vorschlag, es sei sicherer, zu sterben, denn alles Leben sei ja doch nur mehr oder weniger beschönigtes Arbeiten, stößt auf keine Zustimmung, der Massenselbstmord im Faulheitshospiz muss für heute entfallen.

Abends gehe ich noch mal hin, um Christoph Brunner und Gerald Raunig über „Problematiken des Nachhaltigkeits- und Sharingdiskurses und möglichen Gegenaktualisierungen in der Faulheit“ reden zu hören.

Meine Hoffnung, dass dort Kritik am Programm der Nachhaltigkeitswoche geübt wird, erfüllt sich nicht. Es geht unter anderem um die Frage, welches Tier das faulste ist (der Koala), und ob Tiere überhaupt faul sein können oder das Verdauen von Eukalyptusblättern nicht eigentlich ganz schön anstrengend ist. Wir sehen ein Video mit zwei sehr trägen Musikern, werden aber darauf hingewiesen, dass dieser Anschein der Trägheit durch harte Arbeit und eine Wiener-Sängerknaben-Ausbildung erkauft ist. Den Rest der Diskussion verstehe ich nicht, denn die beiden Redner sind zu faul, ihre Gedanken so auszuführen, dass man sie auch dann verstehen kann, wenn man weder Christoph Brunner noch Gerald Raunig ist. Ich bin mit dieser Faulheit ganz einverstanden, denn im Gegenzug darf das Publikum auf Kissen und Matratzen ruhen, und nicht nur ich schlafe zwischendurch ein bisschen. Anlässlich des Videos geht es am Rande immer wieder um Drogenkonsum. Wie zuverlässig sich Veranstaltungen im Zusammenhang mit Konsumkritik und Nachhaltigkeit um den dazu erst mal nötigen Kauf von Produkten (Cannabis, Bücher über Faulheit, wiederverwendbare Wasserflaschen, Sugru) drehen.

Die Qualität der Faulheitsberatung war ausgezeichnet, ich würde sie jedem weiterempfehlen, aber leider ist es schon bald wieder vorbei mit dem Hospiz, und dann wird sich die Faulheit ein anderes Zuhause suchen müssen.