Noch einmal die Bibliothekarin, die mich über Tresen fortgebildet hat. Hier frage ich sie, warum Bibliotheksneubauten anderswo – also jetzt nicht im Toni-Areal – oft leicht daran zu erkennen sind, dass sie der größte und bunkerartigste Betonklotz der Stadt sind:

A: Erst mal haben Architekten ein fest gemeißeltes Bild davon, wie eine Bibliothek auszusehen hat. Also eine Art Wissensschatz, Wissensbunker, Ort der geheimen Wissensschätze, auf jeden Fall was, was bewahrt werden muss. Auf jeden Fall groß und bewacht und schwer, in vielen Fällen.

Ach so, und du meinst, da kommt diese Bunkerarchitektur her?

A: Ich weiß es auch nicht. Aber Architekten neigen zu so Sachen wie „Wissenstürmen“ oder all solchen Merkwürdigkeiten. Sie haben jedenfalls ein ziemlich festgefahrenes Bild von Bibliothek, oft nicht dadurch gespeist, dass sie selbst Bibliotheksnutzer wären. Und dem unterwirft sich dann das, was da halt rauskommt.

In der Bibliothek im Toni-Areal gibt es einen ganz fensterlosen Raum, der hinter dem Rückgabeautomaten liegt, und irgendwelche armen Bibliothekare müssen da den ganzen Tag drin arbeiten. Ich glaube, ursprünglich waren mal Fenster geplant, aber am Ende gab es halt keine.

(Die attraktiven, japanisch wirkenden Lampen sind Neonröhrenkästen mit angeklebten A4-Blättern. Das sieht nicht nur gut aus, die Lampen blenden dann auch weniger.)

A: Die Architekten schaffen Kunstwerke und Denkmäler fürs Leben, wenn sie Bibliotheken bauen. Das ist nicht ein Haus, sondern das ist ein Lebensdenkmal, das sie da bauen. Und da sie von Bibliotheken und Bibliotheksarbeit nicht den geringsten Schimmer haben, ist es hinterher oft kein Vergnügen, darin zu arbeiten. Ich glaube, es war die TU Delft, die nach fünf Jahren bei einem Neubau durchgekämpft hat, das Ding komplett innen neu bauen zu dürfen, weil es vollkommen unbrauchbar war für die Arbeit. Und auch für das Konzept Bibliothek. Architekten gehen von ihrem Bild aus, das sie da haben, von der „Wissens-Schatzkammer“, haben aber von der Funktion einer Bibliothek einfach in der Regel zu wenig verstanden, um einen Bau zu fabrizieren, der hinterher praktikabel ist.

Und als Architekten bestehen sie auch drauf, dass man nie wieder etwas daran ändern darf. Wir durften in unserer neu gebauten Bibliothek nicht mal eine Pflanze an eine Stelle stellen. Und das ist für einen lebendigen Raum wie eine Bibliothek … das ist so, als würdest du ein Jugendzentrum so bauen und sagen: Keiner darf eine Gardine verrücken. Das ist absolut unglücklich. An ganz vielen Stellen wirst du solche unglücklichen Bibliothekare finden in Neubauten.

Und sie finden merkwürdigerweise immer wieder Architekten, die noch nie eine Bibliothek gebaut haben. Also zum Beispiel eine Bibliothek, mit der ich mal beruflich zu tun hatte,  da gab es einen Eingangsbereich, der völlig kahl und leer war, mit einer zehn Meter langen schwarzen, brusthohen Theke und sonst nichts, außer Beton. Und dann gab es einen ersten Stock, da standen die Bücher. In schwarzen Regalen. Und es gab bis zu diesem Stockwerk einen Fahrstuhl. Ein Großteil der Büros zur Bearbeitung der Bücher war aber oberhalb. Der Lastenaufzug führte da aber nicht hin, nur der Personenaufzug. Wenn du große Bücherwagen hast, die du brauchst, um diese ganzen Massen zu bewegen, dann wiegen die einiges. Und sie brauchen Platz. Und es war zum Beispiel schon beim Umzug so, dass der gesamte Umzug für alle Büros in den oberen Etagen über den Personenaufzug gemacht werden musste, woraufhin der alle fünf Minuten ausfiel und irgendwann der Fahrstuhlmonteur entnervt sagte, der sei ja auch nicht dafür da, den ganzen Tag rauf und runter zu fahren! Woraufhin ich ihn anguckte und fragte: Ja, aber wofür dann? Er war halt für die Lasten nicht ausgelegt. Aber die Architekten haben den Lastenaufzug eben nicht bis in die oberen Etagen gebaut, weil sie nur bis zu den Bücherregalen denken konnten, aber nicht verstanden haben, was in dem Haus passiert. Das ist klassisch. Und deshalb kommt es zu fensterlosen Räumen für Mitarbeiter und lauter solchen Sachen.

 

Mit diesem neuen Wissen ausgerüstet, befrage ich einen MIZ-Mitarbeiter, warum es den Empfangstresen gibt, obwohl Tresen in Bibliotheken offenbar überholt sind:

B: Wir haben auch lange diskutiert: Braucht’s noch eine Theke? Was sagt die Theke aus? Aber die Architekten wollten natürlich einen dezidierten Empfangspunkt setzen, und wir konnten die Dimensionen besprechen, aber das Design nicht. Also, wir haben einige Anforderungen genannt, dass wir gewisse Fächer brauchen, auch die Höhe definiert, dass wir eine Taschenablage haben wollen und so weiter. Das war uns wichtig. Wir wussten natürlich aus den Erfahrungen aus den anderen Standorten auch noch nicht, wie viele Kundenkontakte sind da? Wir wollten die Doppelbildschirme, und wenn man diesen Kabelsalat sieht, dann sieht man, dass das dann nicht weitergedacht wurde. Wobei man natürlich trotzdem auch möglichst schlicht bleiben wollte.

Warum war das den Architekten wichtig, diesen Empfangspunkt zu haben?

B: Es gehört doch zu einer Bibliothek. Also, Architekten denken eben an Theke, Bücherregale und einen Lesesaal. Das sind die architektonischen Statements. Sehr, sehr konventionell. Rückgabeautomaten und so, das hat sie nicht interessiert. Die ganzen Neuerungen waren nicht wichtig.

Und wie ist das mit den Kundenkontakten an der Theke? Ich seh hier selten jemand stehen.

B: Wir erheben das statistisch, und es sind doch ziemlich viele. Am Tag sind es über hundert. Wir erheben statistisch auch nach Inhalten. Doch, es sind viele Fragen einfach der Verkehrsregelung: Wo ist was? Wir müssen Konti freischalten, erklären, wie das funktioniert.

 

Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit verdächtige ich einen Architekten, an allem schuld zu sein. Der Architekt wehrt sich:

C: Das ist eigentlich total normal, dass Architekten irgendwas zum ersten Mal bauen. Dann versucht man sich das Wissen der Vorgängergeneration anzueignen und der Benutzer. Darum schaut man halt Bibliotheken an und fragt dann die Bibliothekare: Wie macht man das denn heute? Und dann sagen sie dir: Wir machen heute so Terminals, und dann machst du ihnen halt so ein Terminal.

Und wenn diese Bibliothekare schon so lange im Beruf sind, dass sie vielleicht selber gar nicht wissen, wie man irgendwas inzwischen macht? Oder es zwar wissen, aber blöd finden?

C: Das ist aber dann nicht der Fehler des Architekten, der die Bestellung ausführt.

Das stimmt, andererseits müsste man aber doch in einem Bereich, der im Moment starken Änderungen unterworfen ist, vielleicht doch auch drauf achten, jemanden zu finden, der halt nicht seine Ausbildung vor dreißig Jahren abgeschlossen hat.

C: Ja, aber die Vorgesetzten von denen – beziehungsweise die Baukommission, die zuständig ist für das, was beim Architekten bestellt wird –, die sagen dir ja: Wir brauchen das und das. Oder halt die Normen, wenn es welche gibt, wie beim Kindergarten. Aber ich kenn das nicht anders als so: Du hast eine Aufgabe. Du hast eine vage Vorstellung, wie das abläuft. Dann sprichst du mit den Nutzern. Dann hast du eine Baukommission, die deine Vorgesetzten sind und die Bestellung definieren, die sagen dir dann, was sie wollen. Dann gibt es meistens auch Normen: Soundso viele Quadratmeter hast du, so viele Nischen brauchst du. Mit dem Projekt gehst du dann noch dreimal zu den Kindergärtnerinnen, und zum Schluss kommt irgendwas raus.

Ich erzähle C. die Lastenaufzugsgeschichte von Bibliothekarin A.

C: Ja, Bibliotheken sind da vielleicht schwierig, weil es sehr selten welche gibt, die neu gebaut werden. Da gibt es vielleicht keine Normen und keine spezialisierten Planer. Zum Beispiel bei Spitalbauten, wo so was wie das mit dem Lastenaufzug relevant ist, da gibt es spezialisierte Planer. Die bewerten schon im Wettbewerb dein Projekt, und danach planen sie das mit dir. Bei Mehrzweckturnhallen gibt es spezialisierte Bühnenplaner. Die sagen dir: Die Lüftung muss so breit sein, die Höhe kann maximal 1,10 und mindestens 90 … Da gibt es dann das gesammelte Wissen über ein Spezialgebiet in einem Fachplaner. Aber Bibliotheken könnten da zwischen Stuhl und Bank fallen. Da gibt’s vielleicht zu wenig Normen und zu wenig alltägliche Erfahrung und zu wenig Spezialwissen, das könnte sein.

Ja, und dann hat sich da eben in den letzten Jahren auch viel geändert. Möglich, dass da die Normen nicht schnell genug nachziehen, falls es welche gibt.

C: Stimmt, ja. Hätten wir das abgeschlossen.