Werkzeuge VI

Stunden sitzen wir vor dem Bildschirm, schauen unseren Text an, feilen und schleifen an ihm, stellen ihn um, schreiben weiter. Dann drucken wir ihn aus, um ihn zu überarbeiten. Ist doch gut so, denken wir, und sehen kaum etwas, das zu ändern, zu korrigieren ist.

Wir wissen, was der Text erzählen soll, auch wenn er das in den Leseaugen anderer (möglicherweise überhaupt gar) nicht tut. Um den Text neu sehen zu können, müssen wir ihm ein anderes Gewand anziehen. Wir müssen das Aussehen der Schriftzeichen so verändern, dass wir den Gesamttext nicht wieder erkennen. Konkret: Schriftschnitt ändern (von Serife auf Akzidenz oder umgekehrt), Schriftgrösse ändern, Spaltenbreite ändern, allenfalls auch Zeilenabstand und Satzart (von Flatter- auf Blocksatz).

Der „Typo-Test“:

typo_testGut ist es aber allemal, den Text nicht nur sich selbst, sondern auch anderen vorzulegen. Hemmungslos. Und nicht erst, wenn er „fertig“ ist.

 

Werkzeuge V

Zu den Werkzeugen des so genannt kreativen Schreibens – gibt es umkreatives Schreiben? – gehört auch die ABC-Geschichte: Entlang des Alphabets entstehen assoziative Wortketten, im besten Fall ganze Geschichten, im noch besseren Fall eine neue Variante des Textes, über dem gerade sitzt.

Beispiel:

Angst bedient chronisch die Eltern. Fremdenpolizei. Grossmutter, hierbleiben! Indianerfreund, jugendlich, kräftig, lustvoll mit naiver Ohnmacht. Politik, quadratischer Raum, Schwarzenbachinitiative. Treue. Unsicheres Versteck. Weissglut. Xenophobie. Yeah. Zorn.

Werkzeuge IV

In Schreibprozessen ergänzen sich Phasen der Strukturierung, Gliederung, Entscheidung und Phasen der Intuition, Assoziation, Imagination. Nur modellhaft lassen sich diese Phasen trennen; in der Praxis überschieben sie sich, wirken synergetisch, wie unterschiedlich grosse Zahnräder in einem komplexen Uhrwerk, die unterschiedlich schnell ineinander greifen – allerdings ohne, dass Schreibende die Textmaschine so gezielt konstruieren könnten wie ein Uhrmacher sein Werk.

Ein Werkzeug der Assoziation und Intuition ist das so genannte Free-Writing, auch bekannt als écriture automatique. Es gilt nur eine Regel einzuhalten: schreiben, weiter schreiben, den Stift nicht absetzen. So lassen sich in kurzer Zeit grosse Mengen Rohmaterial generieren. Viele Handbücher empfehlen, den Tag damit zu beginnen, denn Free-Writing trainiert den Schreibmuskel und unterstützt die Entwicklung von Schreibroutine. Hier ein Hilfsmittel dafür.

Ein Werkzeug, um das Potenzial von Rohmaterial zu ergründen, ist das Elfchen: ein Gedanke wird in elf Wörtern und in einer bestimmten Anordnung formuliert. Der Bauplan lautet:

1. Zeile: ein Wort

2. Zeile: zwei Wörter

3. Zeile: drei Wörter

4. Zeile: vier Wörter

5. Zeile: ein Wort

Personal I

Welche Figur spielt die Hauptrolle? Was charakterisiert sie? Welche Haltung nimmt sie ein (gegenüber der Welt, gegenüber den anderen Figuren)? Welches dramatische Ziel treibt die Handlung an?

  • Lisa respektive Estelle, 15 Jahre alt, schwanger
  • er, Mitte 40, unauffällig, vom Leben gelangweilt
  • Grossvater, dement
  • Linda, Studentin, auf der Suche nach vielem, zum Beispiel der Heimat, den Wurzeln, einer Identiät
  • Avatar, körperlich ungeschickt, dabei streitsüchtig
  • Fleischesserin, klettert gern
  • Mona, um die 30 Jahre alt, ein wenig dumm, arbeitet in einer Bar, bringt nichts zu Ende
  • Liebäuglerin, kann mit den Augen fast alles, was es braucht auf dieser Welt
  • Hubert, 46 Jahre alt, Informatiker, hält sich in Diskussionen zurück, weil er der Meinung ist, dass er sowieso recht hat
  • B., männlich, 18 Jahre alt, liest wenig, denn er macht sich Gedanken lieber selbst
  • Mila, 25 Jahre alt, Einzelkind, stammt aus dem Schweizer Mittelstand, studiert an der ZHdK
  • Michelle, blond, angehende Logopädin, wünscht sich eine eigene Familie
  • Erika, 70 Jahre alt, Bewohnerin eines Fantasylandes, mag Sprichwörter
  • Hala, 500’000 Jahre alt, meint aber, sie sei erst 10, kann in der Zeit reisen und bekommt dabei immer weissere Haare
  • Bernd, 17 Jahre alt, steht gerne ausserhalb, auf der Suche nach vielem, ein kleiner Faust, irgendwie, verliebt in Nina, kocht vegan
  • Adam, 23 Jahre alt, Physiotherapeut im Triemli-Spital, spielt Geige und Unihockey
  • Robert, 34 Jahre alt, verdient ganz gut in einer IT-Firma, Raucher und Zähneknirscher, lebt in einer 50er-Jahre Wohnung und mag, dass dort die Neonröhren immer leise summen

Werkzeuge III

Zu Beginn eines Textprojekts bewährt es sich, Eckpunkte zu definieren – möglichst präzise, möglichst verbindlich. Hilfreich ist dabei die Methode des Setting, eine Methode aus dem narrativen Schreiben. Sie bestimmt:

  • Thema: worum geht es?
  • Zeitebene 1: zu welcher Zeit spielt sich das Geschehen ab?
  • Zeitebene 2: in welchem Zeitraum spielt sich das Geschehen ab und in welchem Tempo?
  • Milieu: in welchem sozialen Umfeld spielt sich das Geschehen ab?
  • Form / Genre: welche Textgattung gibt der Geschichte ihre Form?
  • Figur: welche Figuren spielen eine Rolle? was charakterisiert die Figuren?

Hau den Lukas: die Punchline

 

Mein Thema in 3 Sätzen: Worum geht es? Inhaltlich, nicht formal!

Themen, die im Raum sind:

  • Freundschaft
  • Staunen
  • Vorurteile / Selbst- und Fremdwahrnehmung
  • Treue (in der Liebe)
  • Abhängigkeit (in Beziehungen)
  • Heimat
  • Flucht / Vertreibung / Ausschluss
  • Arbeitsmarkt / Wert von Arbeit(en)
  • Krankheit und Tod
  • Armut
  • Vergessen / Vergesslichkeit
  • (Zwang zum) Glück
  • Lebensgefühl in der Agglomeration
  • Essen