Gestern war ich im Bundeshaus, um mich mit Christoph Stutz von den Parlamentsdiensten zu treffen. Die Parlamentsdienste sind zuständig für einen reibungslosen Ablauf des Ratsbetriebes und kümmern sich auch um die Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments. Auch hier werden Spiele eingesetzt, um Politik erfahrbar zu machen. Christoph gab Feedback zu unserem Konzept und ein kurzes Interview zum Thema Wahlbeteiligung.
Bei den Parlamentsdiensten ist Christoph Experte in Sachen politische Bildung. Fast jeden Donnerstag begleitet er oder eine seiner Kolleginnen oder Kollegen Schulklassen bei dem Simulationsspiel «Mein Standpunkt» durch den Bundespalast. Hier wird debattiert, gestritten und nach Lösungen gesucht – wie das halt im Nationalrat so passiert.
Nachdem wir uns über CH+ unterhalten hatten, sprachen wir über demokratische Beteiligung in der Schweiz.
Interview
Warum sollte man deiner Meinung nach wählen?
Aus staatspolitischer Sicht ist es wichtig, dass die Bevölkerung korrekt im Parlament repräsentiert ist. Ich bin der Überzeugung, dass eine Vielfalt von Meinungen und Überzeugungen zu einer ausgewogenen Politik führt. Ausserdem finde ich: Wer sich beklagt, aber nicht beteiligt (obwohl er oder sie es könnte), der verliert seine Glaubwürdigkeit.
Was sagst du zu Menschen die glauben, dass ihre Stimme sowieso keinen Unterschied macht?
Was wäre die Konsequenz, wenn sich jeder mit diesem Argument auf die relative Unwichtigkeit seiner Stimme berufen würde? Niemand würde sich mehr politisch beteiligen. Das wäre dann ziemlich absurd. Das eigene Verhalten sollte so sein, dass es als Grundsatz für alle gelten könnte. Wie Kant sagt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Prinzipiell darf mich deshalb die relative Unwichtigkeit meiner einzelnen Stimme nicht vom Wählen abhalten. Im Gegenteil: Wählen und Abstimmen sind persönliche Beiträge zu einer funktionierenden, demokratischen Gesellschaft.
In den Parlamentswahlen 1971 hatten wir 56.9% Wahlbeteiligung, vor vier Jahren waren es 48.5 %1. Wie siehst du das mit der Wählermotivation?
Natürlich ist eine hohe Partizipation erstrebenswert. Es sollte aber festgehalten werden, dass es in der Schweiz nirgends eine Wahlpflicht gibt, ausser im Kanton Schaffhausen. Entscheidend sind für mein Berufsfeld Fragen wie: Warum sind jüngere Menschen zwar politisch aktiv, aber gehen eher weniger häufig an die Urne? Die Parlamentsdienste haben dazu übrigens erst kürzlich ein Wandelhallengespräch mit dem Titel «Engagierte Jugend, nur nicht im Parlament?» (Link SRF) lanciert.
Immer mehr Menschen kandidieren für das Parlament. 2015 waren 3’788 KandidatInnen und 422 Listen2. Das sind grosse Zahlen, vor allem, wenn man sich nicht täglich mit Politik auseinandersetzt. Könnte es sein, dass Leute aus Überforderung nicht wählen? Wie siehst du das?
Hier gäbe es eine Gegenthese: Je mehr Leute sich aufstellen, desto mehr Menschen müssten doch an Politik interessiert sein. Diese Menschen haben wiederum Verwandte, Freunde und Bekannte, welche sich dann wahrscheinlich auch mehr mit der Politik auseinandersetzen. Ich würde also keinen zwingenden Zusammenhang sehen zwischen den vielen Kandidierenden und der tieferen Wahlbeteiligung.
Andererseits ist es wohl wirklich so, dass zu viel Auswahl zu Entscheidungsproblemen führt. In anderen Bereichen erlebe ich das jedenfalls tagtäglich so, z.B. beim Einkaufen. Das würde deiner Idee wieder mehr Gewicht geben.
Mit der hohen Anzahl Kandidaten scheint es einfacher, eine von den Parteien vorgefertigte Liste zu unterschreiben, als eine Liste anzupassen oder selbst zusammenzustellen. Was meint ihr dazu?
Das bewerten wir nicht. Grundsätzlich ist die Wahlbeteiligung wichtig – dass man überhaupt das Couvert aufmacht und es korrekt ausgefüllt retourniert. Ob Wähler von Parteien vorgefertigte Listen einsenden oder ob sie diese nochmals überarbeiten, das ist jeder Person selbst überlassen.
Hast du irgendwelche Tipps, wie man sich am besten auf die Parlamentswahlen im Oktober vorbereiten kann?
Früh genug anfangen! Und Tools wie smartvote und easyvote nutzen, die sind wirklich sehr hilfreich. Ausserdem haben die Parlamentsdienste neuerdings einen Chatbot namens Parli. Dieser Chatbot beantwortet allgemeine Fragen zu den Wahlen.
Was ist deine Meinung zu Games für Wahlbeteiligung?
Ein Spiel soll primär Vergnügen bereiten. Sich mit der Politik auseinanderzusetzen ist aber auch immer mit Aufwand, resp. Arbeit verbunden. Diese beiden Aspekte zusammenzubringen, ist meines Erachtens ein sehr ehrgeiziger Ansatz, den man weiterverfolgen sollte!
Na, dann tun wir das.