Ich habe wieder den Fehler gemacht, die Leute – in diesem Fall mehrere MIZ-Mitarbeitende – zu ausführlich zu interviewen, und kann mich jetzt kaum überwinden, die langen Gespräche auch nur anzuhören, geschweige denn zu transkribieren. Deshalb vorab noch was anderes, nämlich ein kurzes Gespräch mit einer Bibliothekarin, die das MIZ nur aus meinen Erzählungen kennt. Hier habe ich ihr beschrieben, dass es mir ein bisschen unangenehm ist, an den MIZ-Auskunftstresen zu treten, weil die Leute dort ja offensichtlich immer an etwas anderem arbeiten und sich dabei auch nicht besonders begeistert stören lassen, klar, würde mir ja genauso gehen.

„Das ist so eine Unsitte, die sich eingebürgert hat, aus verschiedenen Gründen – Kostendruck, aber auch Missverständnis des eigenen Jobs – dass man, während man Auskunft gibt, noch andere Dinge tut: ‚Ich nehm mal die Bücher noch mit zum Katalogisieren oder, ach, während ich da sitze, gucke ich mal nach den Fernleihen‘, oder so. Und dadurch so eine Art Beschäftigung dort praktiziert, die schon jeden, der kommt, als Bittsteller hinstellt, weil er dich stört. Das ist im Grunde komplett falsch. Das ist das eine. Der Tresen ist das andere. Erst mal muss man als Bittsteller davortreten, das hat genau diesen Effekt. Das Zweite ist, wenn ich dann auch noch Arbeit dahin mitnehme, obwohl ich eigentlich gerade Kundendienst habe, und mitnichten katalogisiere oder sonst was, vermittle ich den Eindruck: Ich werde gestört. So ist das nicht gedacht, weil es offiziell ganz klar Auskunftsdienst ist und ich nur für den Kunden da sitze.“

Aber was ist, wenn nur jede halbe Stunde mal jemand kommt? Und du dir eben keine andere Arbeit mitgebracht hast?

„Dann mache ich Dinge, die etwas mit dem Publikum zu tun haben. Aber ich schotte mich nicht ab. Also in einer modernen Bibliothek hast du diese Tresen nicht mehr, sondern du hast Stehplätze, oder auch Tische, in ganz gut situierten Bibliotheken hoch- und runterfahrbare Tresen. Und du trittst gemeinsam vor den Bildschirm. Also nicht: Du guckst auf die Rückseite des Bildschirms als Kunde, und der Bibliothekar guckt rein und weist dir den Weg. Sondern es wird partnerschaftlich gemacht. Es ist auch nicht mehr „Ich habe das Wissen, und du Bittsteller kannst davon partizipieren, wenn ich dich lasse, aber nur so viel, wie ich dir geben will.“ Diese merkwürdige Einstellung, die über die Jahre entstanden ist, die gibt es dann nicht mehr. Das heißt, man hat eine Kommunikation auf Augenhöhe, man tritt gemeinsam vor den Bildschirm, und man löst gemeinsam die Rechercheaufgabe.

Das hat mehrere Effekte. Erstens: Eine Sache, die sich auch eingebürgert hat, ist, dass die Bibliothekare ständig das interne Betriebssystem der Bibliothek nutzen, in dem sie viel mehr Features haben als die Kunden, und immer sagen „Das ist ganz einfach, da geben Sie das und das ein, und dann finden Sie das!“ Und dann versuchen die Kunden das an dem öffentlichen, web-basierten Tool, wo das alles nicht geht. Da sind schon mal zwei völlig verschiedene Welten entstanden. In dem Augenblick, wo man diese Theken abschafft, hat man nicht mehr diese Bittstellerposition. Die Leute sitzen nicht mehr da und arbeiten, sondern machen das, was wir Floorwalking nennen, also das, was Verkäufer in Geschäften tun: Gucken, ob man jemandem behilflich sein kann. Das führt dazu, dass die viel eher angesprochen werden. Die tragen eindeutige Kleidung, die sie als Bibliotheksmitarbeiter kennzeichnet, so dass ich weiß: Ah, der geht hier grade rum, den frag ich mal. Das tun die Nutzer viel eher, als dass sie zum Auskunftsplatz gehen und dort als Bittsteller eine Frage stellen. Dadurch hab ich viel mehr Chancen, als Bibliothekar wirklich hilfreich zu sein. Und vielleicht auch an dem Ort, wo der grade steht und sucht, direkt die richtige Antwort geben zu können. Also nicht, er rennt wieder fünf Regale rückwärts, fragt jemand, rennt wieder fünf Regale vorwärts und sagt: ah da steht das Buch, sondern direkt vor Ort. Und wenn es eine Katalogfrage, eine Recherchefrage ist, gibt es im Raum verteilt diese Stehpulte, wo man in gut situierten Bibliotheken das auch runterfahren kann für eine Sitzsituation, wenn’s länger dauert, wo man dann gemeinsam vor dem PC sitzt und recherchiert. Was dann auch den Vorteil hat, dass derjenige gleich lernt, wie man’s richtig macht. Man macht also gleich die Wissensvermittlung auch mit. Und das ist das moderne Konzept.

Das mit der Theke ist so ein bisschen historisch gewachsen, das ist halt geerbt. Die ersten Leihbibliotheken, die es gab, waren Erziehungsanstalten, das heißt, der Bibliothekar hat hinter einem Tresen die Bücher gehabt. Das war nicht so wie heute frei zugänglich, wo man sich einfach was aussuchen konnte, sondern man trat an diesen Tresen, und der Bibliothekar oder die Bibliothekarin entschied dann darüber, was man lesen dürfte. Wie weit man denn schon so sei und was man jetzt als Nächstes bekäme. Das heißt, dieser Ausleihtresen ist einfach historisch, und ist irgendwie über die ganze Zeit erhalten geblieben. Bis man jetzt zu der Erkenntnis gekommen ist, dass das an vielen Stellen auch ein großer Verhinderer ist.“

Wer an dieser Stelle findet, das sei eine zu einseitige Darstellung: Morgen werden Bibliothekare erklären, dass Architekten nicht genug von Bibliotheken verstehen, ein Architekt wird seinen Berufsstand verteidigen, und am Ende wird einem nichts anderes übrigbleiben, als das Universum zu beschuldigen. Oder eben alle Unvollkommenheiten von Bibliotheken mit buddhistischer Milde hinzunehmen, je nach Tagesform.