Kategorie: Talks (Video)

Aufgezeichnete Referate | Recorded Talks

Mein Gegenüber

Rollenwechsel im Dokumentarfilm

von Lisa Gerig mit Living Smile Vidya

In meinem Film Die Anhörung (2023) wird eine Situation beleuchtet, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleibt: die Asylanhörung – das zentrale Element jedes Asylverfahrens, in dem über das Schicksal asylsuchender Menschen entschieden wird.

Für den Film haben wir das gesamte Anhörungssetting nachgestellt. Die Protagonist:innen tauchen einerseits erneut in die Welt ihrer eigenen Erfahrungen ein und übernehmen andererseits ebenso die Perspektive ihres Gegenübers: Die/der Befragte wird zur/zum Befragenden und umgekehrt.

Mit diesem Referat möchte ich Einblick in die vielschichtigen Prozesse hinter diesem Film geben: Warum haben wir uns für diesen neu geschaffenen Rahmen entschieden? Was hat dieser ermöglicht, was wurde erschwert? Welche Vorbereitungen waren nötig, um den Dreh für alle Beteiligten zumutbar, ja sogar bereichernd zu gestalten? Wie beeinflusste das nachgestellte Setting die Dynamik von Macht und Rollenzuschreibungen? Und warum entschieden sich die Protagonist:innen, sich erneut in eine so herausfordernde Befragungssituation zu begeben?

Zusammen mit meinen Protagonist:innen werfen wir einen Blick auf die künstlerischen Entscheidungen und die zwischenmenschliche Begleitung während des gesamten Prozesses – von der Vorbereitung bis zur Auswertung des Films.

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Film:
> DIE ANHÖRUNG
(2023)
CVs:
>
Lisa Gerig
> Living Smile Vidya

Partizipatives Erzählen im Dokumentarfilm

von Maja Tschumi mit Melak Mahdi (Milo)

Als mir der irakische Aktivist Khalili sein Filmmaterial über die Strassenaufstände anvertraute, wusste ich, dass daraus ein Film entstehen wird. Aber wer würde hier die Geschichte erzählen? Ein Jahr später kam es zur Co-Autorenschaft. Inzwischen hatte ich auch Milo kennengelernt, die ebenfalls ihrer Lebenssituation trotz grossen Risiken eine Stimme verleihen wollte. Gemeinsam begannen wir der Komplexität und Unsichtbarkeit ihrer Situation ein Gesicht zu geben – mithilfe von Reenactments. Aus all dem entstand schliesslich der Dokumentarfilm Immortals (2024), der die Geschichte zweier aufständischer Teenager in Bagdad/Irak erzählt. Dabei verliess ich die klassische Rolle der Regisseurin und liess mich auf eine partizipative Form des Erzählens ein, die Co-Autorschaft und Reenactments integrierte.

In meinen filmischen Arbeiten habe ich die Beziehung zwischen mir als Filmende und den Gefilmten stets als kreativen, gemeinsamen Raum begriffen und meine Arbeitsweisen dahingehend kontinuierlich weiterentwickelt. Dieses Filmprojekt hat mir neue Horizonte eröffnet und mein Verständnis von Regiearbeit nachhaltig geprägt.

Anhand ausgewählter Filmausschnitte aus Immortals möchte ich darüber nachdenken, wie wir in einer polarisierten Welt Geschichten erzählen können, ohne diese Stimmen zu übergehen – oder sie nur als Material zu betrachten. Denn vielleicht ist die Wahrheit – wie der iranische Filmemacher Jafar Panahi sagt – tatsächlich nicht viel mehr als eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion, aus dem, was wir erleben, und dem, was wir daraus machen.

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Film:
> IMMORTALS
(2024), ab dem 24. April in den Schweizer Kinos
CVs:
>
Maja Tschumi
> Melak Madhi

Einblicke in die partizipative Entstehung von TINY KITTEN VS 2NARY SYSTEM

von Marisa Meier, Luisa Ricar, Franziska Sonder und Maia Arson Crimew

Wie sieht das Leben einer vom FBI gesuchten Hackerin aus, deren Aktivismus globale Wellen schlägt? Unser Dokumentarfilm TINY KITTEN VS 2NARY SYSTEM taucht ein in die Welt der Schweizerin Maia Arson Crimew, die aufgrund eines internationalen Haftbefehls die Schweiz für unbestimmte Zeit nicht mehr verlassen darf. Mit ihrem einzigartigen Blick auf binäre Systeme, Politik und Gesellschaft eröffnet die 24-jährige Transfrau Perspektiven, die bewegen und polarisieren. Maia bewegt sich in den Extremen von Applaus und Schulden, Fernsehkameras und Depression, Idealismus und Sucht. Wie kann sie es schaffen, ihre geliebte und gesellschaftlich wichtige Arbeit zu leisten, ohne selbst daran zu zerbrechen?

Der Film, der weniger „über“ und vielmehr „mit“ seiner Hauptprotagonistin entsteht, setzt eine enge Zusammenarbeit mit ihr voraus. Auch in der Crew-Positionierung verfolgen wir einen kollektiveren Ansatz, der den traditionellen und gewohnten Hierarchien der Filmindustrie gegenübersteht.

In dieser Keynote laden die beiden Regisseurinnen, die Produzentin und Maia Arson Crimew selbst ein, die Chancen und Herausforderungen dieser Arbeitsstruktur offen zu besprechen. Wann funktioniert die Idee einer flachen Hierarchie in einem Kollektiv? Und die einer in den Prozess miteingebundenen Hauptfigur? Wo stossen sie an ihre Grenzen? Und wie beeinflusst der partizipative Prozess den finalen Film?

Das Team befindet sich mitten im Entstehungs- und Schreibprozess des Filmes und bietet dadurch einen unverwässerten Einblick in die «laufende Operation Film», deren Ende noch offen ist.

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CVs:

> Marisa Meier
> Luisa Ricar
> Franziska Sonder
> Maia Arson Crimew

Im Schneideraum mit 50 Paar Augen

Einblicke in die kollaborative Montagephase

Mein erster abendfüllender Dokumentarfilm Fitting In (2025) beleuchtet das Leben einer südafrikanischen Community in einem studentischen Männerwohnheim. Den Zugang zu der Gemeinschaft zu finden, erwies sich als herausfordernd, denn viele weisse Studenten fühlten sich von der Anwesenheit der Kamera bedroht. Sie fürchteten, dass ihre von kolonialen Traditionen geprägte Lebensweise kritisiert werden könnte.

Über einen Zeitraum von mehr als hundert Drehtagen, die ich in verschiedenen Etappen realisierte, war es mir wichtig, trotz der grossen räumlichen Distanz zwischen Südafrika und der Schweiz den Kontakt mit den Protagonisten aufrechtzuerhalten. Im Schnittprozess suchte ich aktiv das Feedback der Studenten, um sie in den Prozess einzubinden. Ich organisierte Zoom-Meetings und zeigte den Film etwa 50 Studenten in kleinen Gruppen, bis wir einen Konsens erreicht hatten.

In meiner Keynote möchte ich Einblicke in die kollaborative Montagephase geben, bei der es mir stets ein Anliegen war, einen kritischen Blick zu wahren und dabei den Menschen und ihren Geschichten gerecht zu bleiben.

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Film:
> FITTING IN (2025)

CV:
> Fabienne Steiner

Fabienne Steiner

1984 in Johannesburg, Südafrika geboren, mit 13 Jahren in die Schweiz gezogen. Nach einem Studium in visueller Kommunikation einige Jahre als Grafikerin tätig. 2020 Abschluss des Bachelorstudiums an der ZHdK im Bereich Film. Diverse Kamera- und Regiearbeiten bei Dokumentar- und Kurzfilmen. 2025 Masterabschluss an der ZHdK im Bereich «Realisation Dokumentarfilm».

Filmografie:
2025 Fitting in – Dokumentarfilm, 83 min.
2020 Café Zentrum – Dokumentarfilm, 21 min.

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ZDOK.25-Beitrag:
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Im Schneideraum mit 50 Paar Augen
> Film:
> FITTING IN (2025)