Am Anfang steht die Kamera. Sie macht den Raum zur Fläche, indem sie einen Ausschnitt aus der dreidimensionalen Welt auf eine zweidimensionale Fläche projiziert. Und sie macht die Gegenwart zur Vergangenheit, indem sie Augenblicke festhält und auf einem Träger für die Nachwelt konserviert. Die kreative Auseinandersetzung mit den Gesetzen, Möglichkeiten und Tücken dieser grundlegenden Phänomene nennen wir Kameraarbeit. Aus der Kameraarbeit gehen visueller Stil und bildästhetische Positionen hervor. Durch die Projektion auf eine Fläche entstehen Linien und Formen. Sie treten als visuelle Elemente zueinander in Beziehung. Da-raus ergeben sich Komposition und Bildrhythmus. Die Illusion von Räumlichkeit und Körperlichkeit entsteht durch Fluchtpunkt, Perspektive und Licht. Kamerabewegungen, Perspektivenwechsel und unterschiedliche Einstellungsgrössen machen Raum und Zeit eindrücklich erlebbar. Die Kameraperson schafft damit auch erzählerische Momente und ermöglicht durch ihr Bildangebot die spätere Verdichtung im Schnitt.
Zentral ist die Frage der Kontrolle: Wieviel Einflussnahme ist im Dienst der optimalen Bildgestaltung zulässig? Zurückhaltende Beobachtung hat den Vorteil der Spontaneität und der authentischen Erfassung, kann aber zu unvorteilhaften Blickwinkeln, ungenügendem Licht oder langwierigen Abläufen führen. Soll also Licht gesetzt, dürfen Handlungsabläufe geprobt und Aufnahmen wiederholt werden? Solche Fragen sind zentral in der Zusammenarbeit zwischen Regie und Kamera und sie sind zugleich ein deutlicher Hinweis darauf, dass es um Dokumentarfilm geht.
Unterdessen können Räume und Menschen auch volumetrisch, mit Hilfe von Fotogrammetrie, Videogrammetrie und 3D-Laserscanning, erfasst werden. Es entstehen fotorealistische 3D-Modelle der Wirklichkeit, die Projektion auf eine 2D-Fläche entfällt. Die Technologie ist sehr aufwändig und die visuelle Qualität lässt noch zu wünschen übrig. In Virtual- Reality-Erfahrungen verändert sich dadurch aber das Raum- und Zeit-erleben der User/innen fundamental. Und auch als Ausgangspunkt für die 2D-Bildproduktion werden sich dadurch in Zukunft grosse Neuerungen ergeben. Denn alle typischen Parameter der Kamera wie Position, Perspektive, Brennweite, Schärfe und Licht werden damit zu einem Teil der Postproduktion und können im Nachhinein definiert und verändert werden. Die Kamera wird virtuell. Und damit rückt auch ihr Ende näher.
Einführungsreferat Donnerstag, 21. März 09:15