Autor: ciseli

Fiktionalisierende Montage im Dokumentarfilm

von Magali Trautmann

Dokumentarfilme erzählen Geschichten. Aber wie? Was braucht es für eine gute Geschichte? Wie wird Material der vorfilmischen Wirklichkeit zu einer Erzählung montiert? Und welche alternativen Strategien gibt es?
In meinem Vortrag stelle ich ein Modell vor, dass zwei Wege der Vermittlung vorsieht: einen themen- und einen handlungsgeleiteten. Der themengeleitete (argumentative) Dokumentarfilm bebildert ein Anliegen mit Fremdaufnahmen, ergänzt diese um Experteninterviews und beliebige Grafiken, Modelle oder Archivaufnahmen und kommentiert sie anonym (exogene Montage). Der handlungsgeleitete (narrative) Dokumentarfilm hingegen konstruiert aus Eigenaufnahmen heraus eine Erzählung mit einem Spannungsbogen, einer Handlung und Handelnden (endogene Montage). Die argumentative Form findet man vor allem in TV-Dokumentationen vor, die über historische, naturwissenschaftliche oder evolutionäre Themen berichten. Der Erstaufführungsort des narrativen Dokumentarfilms ist das Kino. Seine Erzählungen sind Heldengeschichten mit einer durchdachten Dramaturgie, Bild- und Tonkomposition, die dem fiktionalen Film in nichts nachstehen.
Wie nah der narrative Dokumentarfilm dem Spielfilm tatsächlich kommt, ohne dabei mit Nachstellungen, Kulissen oder Schauspielern zu arbeiten, welche Tricks und Techniken er anwendet, um die Zuschauenden zu erreichen und vor allem, wie dessen Montage im Detail aussieht, lege ich in meinem Vortrag dar. Anhand aktueller Beispiele, darunter der Film WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt (Patrick Allgaier/Gwendolin Weisser D 2017), der seine handlungsgeleitete Absicht bereits im Titel trägt, werde ich aufzeigen, wie eine fiktionalisierende Montage aussehen kann.

 

> Magali Trautmann

Wer spricht? – Zur Erzählinstanz im Film

von Gesa Marten

Anlass dieses Vortrags ist eine Erfahrung aus der Praxis, in der nach intensiver Montagearbeit einem Film dennoch vorgeworfen wird, er bezöge keine Haltung. Zumindest sei die Haltung zum Stoff oder zum Filminhalt oder zu den Protagonisten vage und nicht deutlich ablesbar. Nun fragt sich, worin die Haltung eines Films besteht und wie sich sich zeigt. Und inwieweit eine subjektive Haltung zu wünschen ist.

In der Erzähltheorie wird zwischen Autor/in und Erzähler/in unterschieden. Im Dokumentarfilm sind dies entsprechend der/die reale Filmemacher/in und ein/e filmische Erzähler/in. Aber wer ist diese Erzähler/in? Wer spricht resp. wer hat eine Stimme? Hören wir und/oder sehen wir sie? Wer zeigt die Bilder und legt Bedeutung an? Wo ist diese audiovisuelle Erzählinstanz auszumachen? Und kann der Erzähler/in eine Haltung eingeschrieben werden?

In der Montage strukturieren wir Raum und Zeit, wir kreieren die Handlung und die Charaktere. Wir führen Gedanken und Emotionen. Somit konstruiert die Montage die filmische Realität. Doch in welcher Wirklichkeitsform ist der/die Erzähler/in zu finden und kann sie in der Montage ebenso gestaltet werden? Ich möchte an Beispielen zeigen, wie in der Montage diese Figur der „Erzähler/in“ erzeugt wird und somit ein Ausdrucksmittel neben anderen ist, die wir künstlerisch nutzbar machen können.

Gesa Marten

Rhythmic Thinking: Svilova and Vertov’s Extended Mind

by Karen Pearlman

This paper will look at the collaboration between Dziga Vertov and his wife, editor, and lifelong collaborator, Elizaveta Svilova. It will define the expert, embodied processes that occur in the editing of their films as ‚editing thinking‘, and suggest that Svilova is a significantly under recognized figure in the Soviet montage era. Her contribution via editing thinking was central to Vertov’s achievements.

The discussion starts with evidence. Clips of Svilova editing in Man with a Movie Camera (1929) reveal how editors extend their ‚machinery of mind‘ (Clark 2008) with their editing tools and the filmed material. Svilova’s expert actions, which can be seen onscreen, reveal that a film’s edited passages are not results of editors‘ thinking, rather the edits are her thoughts. The clips reveal that editing is thinking and that it occurs in action, and in the brain, the body and the world.

Having established that the films are not just being composed in one mind but are the result of thinking distributed between Vertov, Svilova and the filmed material itself, we then turn to the question of rhythm specifically. What kinds of ‚editing thinking‘ expertise do editors develop to shape rhythms? I propose that ‚kinesthetic imagination‘ is one of editors‘ unique skills. Using the quicksilver rhythms of Man with a Movie Camera as an example, this paper will develop an idea about what ‚kinesthetic imagination‘ is, how it is developed and how it works to shape the rhythms of a film.

 

Karen Pearlman

Going Through the Motions

Bill Nichols

How can we repeat something that was unique? How can we repeat the past? These questions have figured into the documentary tradition from the beginning, with Robert Flaherty reenacting aspects of Inuit life that were more typical of pre-contact existence than of the lives of the Inuit he worked with and with John Grierson buying into reconstructions of typical events that no camera was there to film in many of the 1930s British documentaries from Coal Face (Alberto Cavalcanti, 1935) to Night Mail (Harry Watt and Basil Wright, 1936). Reenacting the past gives comfort and coherence; it brings back to life what had passed from it.

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