Eine isländische Saga

Text: Gerhard Meister

Könnte natürlich jetzt googeln, oder, ob es diesen Dagda beziehungsweise seinen Sohn tatsächlich gibt in irgend einer isländischen Saga, von denen ich zugebenermassen sämtliche Staffeln verpasst habe, wobei Tuath dann irgendwie nicht so isländisch tönt und das ganze irgendwie zugegeben schon fast wie echt und dann doch wieder nur fast, gut, Rohfassung eben, da wird noch mal geschliffen am Versmass, der trefflichen Metapher, doch zu welchem Ziele, Zwecke, Sinn? Was will der Autor uns am 11.2.2015 sagen mit diesen 5000 Jahre alten Versen vom abtretenden Helden? Was treibt er für ein Spiel? Ja, das hätt mich jetzt schon noch wunder genommen, das soll er uns beziehungsweise mir nun bitte künden in fadengrader Prosa, wenn ich bitten darf.

Dramaturgiesitzung im Stadttheater

Text: Gerhard Meister

Also wer ist dafür?

Doch ich denke, wir können das machen, Studiobühne natürlich.

Ich bin doch für den Wedekind.

Also ich meine, dieses Lebensgefühl, diese Probleme, das kommt doch eigentlich ganz schön zum Ausdruck. Er hat doch eigene Bilder.

Wir sind jetzt aber nicht in irgendeinem Wedekindjahr oder hab ich da was verpasst?

Natürlich kennt man das alles. Natürlich sind das nicht unserer Probleme.

Wir haben noch nichts in diesem Segment.

Ist aber nicht wirklich was für Schulklassen.

Deshalb bin ich ja für Wedekind.

Im Theater muss es ja nicht immer um die eigenen Probleme gehen.

Im Gegenteil.

Ich denke auch, dass es doch recht hübsch in die Lücke passt, die wir in unserem Spielplan noch haben.

Also wir hätten da einen Regieassistenten, der könnte das machen, vier Wochen Probezeit.

Quick and Dirty.

Wie immer in solchen Fällen.

Also, das kann man doch so nicht sagen.

Vom Autor hat man bisher nichts gehört?

Nein, wir hätten den dann entdeckt.

Na immerhin das.

Stimmen wir doch ab.

Gut, stimmen wir ab.

Wenn Politiker in ihren Antrittsreden lobend von …

Text: Gerhard Meister

Yannick Haenel, die bleichen Füchse, der Autor war mir bisher unbekannt, ist mir gestern in der Buchhandlung in die Finger gekommen. Das Buch erzählt im ersten Teil von einem Mann, der keinen Job mehr hat, dem die Wohnung gekündigt wird und der dann als Obdachloser auf Immigranten trifft, Leute aus Afrika, Mali insbesondere. Im zweiten Teil kippt der Roman, aus der Erzählung über den Mann wird ein Manifest oder Pamphlet oder wie man das nennen soll der Unterdrückten, geschrieben in der Wir-Form, die sich erheben. Es gibt einen Aufstand, eine Revolution. Die Aufständischen tragen Masken. Der bleiche Fuchs ist eine Dogon-Gottheit die quer zur Götterordnung ihr anarchistisches Wesen treibt. In der Literaturkritik kommt der Wechsel zur WIR-Form und seinem Pathos mehrheitlich schlecht bis sehr schlecht weg.

Der erste Satz

Schreiben wir den ersten Satz zuerst? Oder zuletzt? Oder irgendwann dazwischen? Was zeichnet einen guten ersten Satz aus? Und wie einen guten ersten Satz finden und formulieren?

Die Frage nach dem ersten Satz treibt viele um, die schreiben. Auf Blogs von Schreibworkshopanbietern ist zu lesen, der erste Satz sei wichtig, weil dieser erste Satz entscheide, ob jemand ein Buch kauft, liest, gut findet, weiterempfiehlt – oder sofort wieder weglegt. Der erste Satz soll Neugier erzeugen, Spannung wecken, Hunger auf mehr.

2007 lancierten die „Initiative deutsche Sprache“ und die „Stiftung Lesen“ einen Wettbewerb zur Kür des „schönsten“ ersten Satzes. Gewonnen hat Günther Grass mit dem Anfang seines Werks „Der Butt“: „Ilsebill salzte nach.“ Franz Kafka schaffte es immerhin auf den zweiten Platz: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Zu den berühmten ersten Sätzen der deutschen Literatur gehört auch Max Frisch mit „Ich bin nicht Stiller“.

Bekannte erste Sätze aus der Weltliteratur sind zum Beispiel:

  • „Nennt mich Ismael.“ (Hermann Melville, „Moby Dick“)
  • „Alle glücklichen Familien sind gleich, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.“ (Leo Tolstoi, „Anna Karenina“)
  • Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nr. 4 waren stolz darauf ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. (J.K. Rowling, „Harry Potter und der Stein der Weisen“)

 

Werkzeuge VI

Stunden sitzen wir vor dem Bildschirm, schauen unseren Text an, feilen und schleifen an ihm, stellen ihn um, schreiben weiter. Dann drucken wir ihn aus, um ihn zu überarbeiten. Ist doch gut so, denken wir, und sehen kaum etwas, das zu ändern, zu korrigieren ist.

Wir wissen, was der Text erzählen soll, auch wenn er das in den Leseaugen anderer (möglicherweise überhaupt gar) nicht tut. Um den Text neu sehen zu können, müssen wir ihm ein anderes Gewand anziehen. Wir müssen das Aussehen der Schriftzeichen so verändern, dass wir den Gesamttext nicht wieder erkennen. Konkret: Schriftschnitt ändern (von Serife auf Akzidenz oder umgekehrt), Schriftgrösse ändern, Spaltenbreite ändern, allenfalls auch Zeilenabstand und Satzart (von Flatter- auf Blocksatz).

Der „Typo-Test“:

typo_testGut ist es aber allemal, den Text nicht nur sich selbst, sondern auch anderen vorzulegen. Hemmungslos. Und nicht erst, wenn er „fertig“ ist.

 

Werkzeuge V

Zu den Werkzeugen des so genannt kreativen Schreibens – gibt es umkreatives Schreiben? – gehört auch die ABC-Geschichte: Entlang des Alphabets entstehen assoziative Wortketten, im besten Fall ganze Geschichten, im noch besseren Fall eine neue Variante des Textes, über dem gerade sitzt.

Beispiel:

Angst bedient chronisch die Eltern. Fremdenpolizei. Grossmutter, hierbleiben! Indianerfreund, jugendlich, kräftig, lustvoll mit naiver Ohnmacht. Politik, quadratischer Raum, Schwarzenbachinitiative. Treue. Unsicheres Versteck. Weissglut. Xenophobie. Yeah. Zorn.

Werkzeuge IV

In Schreibprozessen ergänzen sich Phasen der Strukturierung, Gliederung, Entscheidung und Phasen der Intuition, Assoziation, Imagination. Nur modellhaft lassen sich diese Phasen trennen; in der Praxis überschieben sie sich, wirken synergetisch, wie unterschiedlich grosse Zahnräder in einem komplexen Uhrwerk, die unterschiedlich schnell ineinander greifen – allerdings ohne, dass Schreibende die Textmaschine so gezielt konstruieren könnten wie ein Uhrmacher sein Werk.

Ein Werkzeug der Assoziation und Intuition ist das so genannte Free-Writing, auch bekannt als écriture automatique. Es gilt nur eine Regel einzuhalten: schreiben, weiter schreiben, den Stift nicht absetzen. So lassen sich in kurzer Zeit grosse Mengen Rohmaterial generieren. Viele Handbücher empfehlen, den Tag damit zu beginnen, denn Free-Writing trainiert den Schreibmuskel und unterstützt die Entwicklung von Schreibroutine. Hier ein Hilfsmittel dafür.

Ein Werkzeug, um das Potenzial von Rohmaterial zu ergründen, ist das Elfchen: ein Gedanke wird in elf Wörtern und in einer bestimmten Anordnung formuliert. Der Bauplan lautet:

1. Zeile: ein Wort

2. Zeile: zwei Wörter

3. Zeile: drei Wörter

4. Zeile: vier Wörter

5. Zeile: ein Wort