Kategorie: Talks

From Reality to Fiction and back / Case study “La Mif”

Abstract by Fred Baillif

A group of teenage girls have been placed in a residential care home with social workers. This forced “family” experience creates unexpected tensions and intimacies. An incident triggers a chain of over-reactions. The fall-out reveals the weaknesses of the retrograde juvenile system, as well as the demons that haunt ‚La Mif’. A social drama, mirroring our ill-mannered morals.

In search of natural performances and unsuspected talents, Fred Baillif has developed a direct cinema style based on real people and improvisation. In this case, the process started with individual interviews with each of the residents and the employees of a children’s home. He then conducted improv workshops over two years, which progressively allowed characters to emerge. He gathered all the elements that came out and wrote a script. It didn’t have dialogues, but a general plot, an outline and some punchlines. The headmaster Claudia Grob (Lora) shared with him her strong frustration towards the youth protection system and doing so, she extremely inspired the story. Fred will share this experience and his vision of what people call “Cinema verité”.

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Was beschäftigt die Branche – Stoffentwicklungen bei Serien und Filmen

Abstract von Lars Wiebe & Jan Bennemann (Netflix)

Jan Bennemann und Lars Wiebe sind schon lange in der Filmbranche tätig und haben bei verschiedenen nationalen und internationalen Produktionsfirmen gearbeitet. Beide sind im letzten Jahr zu Netflix gewechselt und verantworten dort als Content Executives, gemeinsam mit weiteren Kolleg*innen, den fiktionalen Film- und Serienbereich von Netflix in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als Kreativ-Verantwortliche erreichen die beiden viele Projektentwicklungen und Pitches aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und so verfügen sie über einen einzigartigen Einblick in die Fülle und Breite der unterschiedlichsten Inhalte. Beiden begleiten häufig den Prozess der Stoffentwicklung in enger Zusammenarbeit mit den Kreativen und arbeiten selbst bei der Stoffentwicklung mit.

Mike Schaerer möchte im Gespräch mit Jan Bennemann und Lars Wiebe erörtern, welche Entwicklungen in der Dramaturgie und der Narration zu spüren sind, ob sich Trends in den inhaltlichen Themen und der Tonalitäten abzeichnen oder neue Entwicklungen in den Erzählweisen und -mustern durch die neuen Player am Markt entstehen. Außerdem interessiert ihn, inwieweit sie in ihrer Arbeit auf die Stoffentwicklung Einfluss nehmen und nach welchen Stoffen sie suchen.

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Vinca Wiedemann

Vinca Wiedemann machte ihren Abschluss als Filmeditorin an der National Film School of Denmark, wechselte aber bald in die Drehbuchentwicklung. Als Filmbeauftragte des Danish Film Institute und künstlerische Leiterin von New Danish Screen war sie für die Entwicklungs- und Produktionsförderung zahlreicher Spielfilme verantwortlich und trug maßgeblich zum Aufstieg des dänischen Kinos bei. Vinca ist eine international geschätzte Drehbuchberaterin und Story Supervisor für Regisseur:innen, z. B. arbeitete Lars von Trier bei seinen Drehbüchern für Melancholia und Nymphomaniac eng mit ihr zusammen, und derzeit arbeitet sie mit Thomas Vinterberg an dessen erster Fernsehserie. Sie war fünf Jahre lang Direktorin der National Film School of Denmark und ist international als Mitglied von Think Tanks, Filmjurys, Hauptrednerin sowie als Tutorin und Dozentin für künstlerische Zusammenarbeit und Filmfragen im Zusammenhang mit dem Entwicklungsprozess, Innovation, Bildung und Filmpolitik tätig.

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Vinca Wiedemann (EN)

Vinca Wiedemann graduated as a film editor from National Film School of Denmark, but she soon moved into script development. As film commissioner at the Danish Film Institute and artistic director of New Danish Screen, she was responsible for granting development and production support to numerous feature films and was instrumental in the rise of Danish cinema. Vinca is an internationally esteemed script consultant and story supervisor for directors e.g., Lars von Trier collaborated closely with her on his scripts for Melancholia and Nymphomaniac, and she is now working with Thomas Vinterberg on his first tv series. She was Director of The National Film School of Denmark for five years, serves internationally as member of think tanks, film juries, keynote speaker and as a tutor and lecturer on artistic collaboration and film issues linked to the development process, innovation, education, and film policy.

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Die Grenzen verschieben: Vom Alten lernen, das Neue schaffen

Abstract von Dr. Linda Seger

(aus dem Englischen übersetzt) Kreative Autor:innen arbeiten mit Grenzen und mit Balance. Es ist ein Balanceakt zwischen Kunst und Handwerk – das Handwerk zu beherrschen und die Kunst zum Ausdruck zu bringen. Ohne Handwerk droht Verwirrung und eine willkürliche Herangehensweise an die Kunst – was manchmal funktioniert, aber meistens nicht. Ohne Kunst ist das Produkt abgeleitet, offensichtlich und banal.

Es gibt ein Gleichgewicht zwischen Kunst als Ausdruck und Kunst als Kommunikation.
Es gibt ein Gleichgewicht zwischen dem Vorantreiben unserer Kunst in neue Formen und dem Festhalten an den vermeintlich „alten Regeln“, so dass wir in ihnen erstarren. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen „immer innerhalb der Linien malen“ und „tun, was man will“.

Ich glaube nicht an Regeln und Formeln, aber ich glaube an Konzepte und Ideen. Ich glaube: „Du kannst alles tun, was du willst, wenn du es kannst!“ Das bedeutet, dass man jedes Mal, wenn man von dem abweicht, was andere Leute als Regeln bezeichnen, einen Ausgleich schaffen muss und sich bewusst sein muss, was man tut und warum man es tut und wie man es umgehen kann, damit es funktioniert. Wir werden also über einige dieser heimtückischen Techniken sprechen, die gut zu kennen sind und die unserer Kunst dienen können.

In diesem 30-minütigen Vortrag werden wir uns mit den folgenden Themen und Fragen befassen:
1. Momentum-Probleme: Wie hält man eine Geschichte in Gang, wenn man den Schwerpunkt auf Episoden und Entwicklung statt auf Ergebnisse und Auflösungen legt?
2. Fokus- und Orientierungsfragen: Wie hält man den Fokus aufrecht, wenn man den Schwerpunkt eher auf emotionale Momente und Transformation als auf Handlungspunkte legt?
3. Strukturelle Fragen: Welche Aspekte der Drei-Akt-Struktur sind eher hilfreich als hinderlich, und wie können diese eingebracht werden, während man scheinbar „alle Regeln bricht“? (Wenn Sie Zeit haben, sehen Sie sich den Film Luther mit Joseph Fiennes an, bei dem ich als Drehbuchberaterin fungierte und im dritten Akt zwei der wichtigsten „Regeln“ beim Drehbuchschreiben brach. Ich werde kurz darauf eingehen, welche das waren und wie wir das Problem kompensiert haben, das sich daraus ergeben hat).
4. Aktionspunkte: Wie kann man Aktionspunkte reduzieren, um das Publikum nicht zu erschlagen (à la Stirb Langsam) und sie trotzdem für die Klarheit nutzen? Wie viel Abstand wollen Sie zwischen Ihrem Publikum und Ihrer Handlung?
5. Quellen und Wissen: Wie suchen Sie nach Quellen und arbeiten mit dem Wissen und den Erkenntnissen anderer Künstler, ohne sich von ihnen in ihre eigenen Formeln pressen zu lassen?

Es könnte hilfreich sein, einen Blick in mehrere meiner Bücher zu werfen, die diese Fragen auf unterschiedliche Weise behandeln: Making a Good Script Great, das sich mehr mit konventionellen Strukturen beschäftigt. Advanced Screenwriting, das sich mit unkonventionellen Strukturen befasst. Making a Good Writer Great, das sich mit dem kreativen Prozess befasst. Und das Kapitel über den Film Crash in And the Best Screenplay Goes to – Learning from the Winners.

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Politisches Erzählen in populistischen Zeiten

Abstract von Christian Schwochow

Der Ton in der Politik, aber auch in der Gesellschaft ist in den letzten Jahren lauter geworden. Wer mit seiner Meinung durchdringen will: polarisiert, vereinfacht und vergröbert. Das verändert Politik und das verändert auch den Blick auf Politik. Wie begegnen wir als Künstlerinnen und Künstler, als Filmschaffende dem sich zuspitzenden Populismus in Europa und der Welt? Wie können wir mit unseren Mitteln den antidemokratischen Kräften, die unser Verständnis von Gesellschaft ablehnen und diese versuchen zu spalten, begegnen ohne dabei didaktisch oder belehrend zu werden?

Christian Schwochow hat in den letzten Jahren versucht, mit verschiedenen Arbeiten wie: „NSU-Heute ist nicht alle Tage“, „Deutschstunde“, „Je suis Karl“ und „Munich -The Edge of War“ politisches Fernsehen und Kino zu erzählen. An der Tagung wird Christian Schwochow über seine verschiedenen Herangehensweisen berichten. Es wird darum gehen, warum es immer wichtiger wird, Schattierungen mitzuerzählen, welche Grenzen politisches Erzählen mit sich bringt und warum er es trotzdem als extrem wichtig erachtet, als Künstler*in sich politischen Themen zu stellen. Auch in Filmen.

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What’s on the industry’s mind – story development in series and films

Abstract by Lars Wiebe & Jan Bennemann (Netflix)

Jan Bennemann and Lars Wiebe have been working in the film industry for a long time and have worked for various national and international production companies. Both joined Netflix last year as content executives and, together with other colleagues, are responsible for Netflix’s fictional film and series business in Germany, Austria and Switzerland. As creative directors, they receive many project developments and pitches from all over the German-speaking world, giving them a unique insight into the wealth and breadth of the most diverse content. The two often accompany the process of story development in close collaboration with the creatives and work in story consulting themselves.

In conversation with Jan Bennemann and Lars Wiebe, Mike Schaerer would like to discuss what developments can be felt in dramaturgy and narration, whether trends are emerging in content themes and tonality, or whether new developments in narrative styles and patterns are emerging as a result of the new players on the market. He is also interested in the extent to which they influence the development of material in their work and what material they are looking for.

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Von der Realität zur Fiktion und zurück / Case Study «La Mif»

ABSTRACT VON FRED BAILLIF

Eine Gruppe von Mädchen im Teenageralter wird von Sozialarbeitern in einem Pflegeheim untergebracht. Diese erzwungene „Familien“-Erfahrung führt zu unerwarteten Spannungen und Intimitäten. Ein Vorfall löst eine Kette von Überreaktionen aus. Die Folgen offenbaren die Schwächen des rückschrittlichen Jugendsystems und die Dämonen, die „La Mif“ heimsuchen. Ein Sozialdrama, das unsere unkultivierte Moral widerspiegelt.

Auf der Suche nach natürlicher Darstellung und ungeahnten Talenten hat Fred Baillif einen direkten Filmstil entwickelt, der auf realen Personen und Improvisation beruht. In diesem Fall begann der Prozess mit Einzelinterviews mit allen Bewohnern und Mitarbeitern eines Kinderheims. Anschließend führte er zwei Jahre lang Improvisationsworkshops durch, in denen sich nach und nach Charaktere herausbildeten. Er sammelte alle Elemente, die dabei herauskamen, und schrieb ein Drehbuch. Es enthielt keine Dialoge, aber eine allgemeine Handlung, eine Skizze und einige Pointen. Die Schulleiterin Claudia Grob (Lora) teilte ihm ihre starke Frustration über das Jugendschutzsystem mit und inspirierte dadurch die Geschichte sehr. Fred wird diese Erfahrung und seine Vision von dem, was man „Cinema verité“ nennt, teilen.

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Pushing the Boundaries: Learning from the Old, Creating the New

Abstract by Dr. Linda Seger

The creative writer works with boundaries and with balance. There is a balancing act between art and craft – knowing the craft and expressing the art. Without craft there is confusion and an arbitrary approach to art – which sometimes works, but usually does not. Without art, the product is derivative and obvious and on-the-nose.

There is a balance between art as expression and art as communication.
There is a balance between pushing our art into new forms, and being so beholden to what are thought of as the „old rules” that we become locked in.
There is balance between „always coloring inside the lines” and “doing what you want.”

I don’t believe in rules and formulas, but I do believe in concepts and ideas. I believe “You can do anything you want, if you can do it!” That means that any time you move away from what other people call Rules, you usually have to compensate and be aware of what you are doing and why you are doing it and how to get around it to make it work. So we will be talking about some of these sneaky techniques that are good to know and that can serve your art.

This 30 minute talk will look at the following issues and questions:
1. Momentum Issues: How do you keep a story moving if you put an emphasis on episodes and development rather than results and resolutions?
2. Focus and Orientation Issues: How do you keep focus if you put an emphasis on emotional moments and transformation rather than action points?
3. Structural Issues: what are the aspects of the Three Act Structure that can help you rather than hinder you and how do you bring these in, while seemingly „breaking all the rules?” (If you have time, watch the film Luther with Joseph Fiennes where I was the script consultant and broke two of the biggest „Rules” in screenwriting in the Third Act. I will talk briefly about what those were and how we compensated for the problem this was going to cause.)
4. Action Points: how do you diminish action points so you don’t pound the audience over the head (ala Die Hard) while still using them for clarity? How much distance do you want between your audience and your action?
5. Sources and Knowledge: How do you look for sources and work with the knowledge and insights of other artists while not allowing them to lock you in to their own formulas?

You might find it helpful to take a look at several of my books that cover these issues in different ways: Making a Good Script Great which deals more with conventional structures. Advanced Screenwriting which deals with unconventional structures. Making a Good Writer Great which deals with the creative process. And the chapter on the film Crash in And the Best Screenplay Goes to – Learning from the Winners.

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Political Narrative in Populist Times

Abstract by Christian Schwochow

The tone in politics, but also in society, has become louder in recent years. Those who want to get through with their opinions: polarize, simplify and coarsen. This changes politics and this also changes the view on politics. How do we as artists, as filmmakers, react to the intensifying populism in Europe and the world? How can we use our means to confront the anti-democratic forces that reject our understanding of society and try to divide it without becoming didactic or lecturing?

In recent years, Christian Schwochow has attempted to narrate political television and cinema with various works such as: „NSU-Heute ist nicht alle Tage“, „Deutschstunde“, „Je suis Karl“ and „Munich -The Edge of War“. At the conference, Christian Schwochow will report on his various approaches. It will be about why it is becoming more and more important to tell shades, what limits political storytelling brings with it and why he nevertheless considers it extremely important as an artist to confront political issues. Also in films.

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Europäisches Storytelling: Episch, offen, vielfältig

Abstract von Christine Lang

In aktuellen Drehbuchratgebern werden vor allem 3-Akt-Strukturen und damit Modelle einer geschlossenen Dramaturgie diskutiert. Dabei stehen immer eine Hauptfigur und ihre Handlungen im Mittelpunkt. Das europäische Kino zeichnet sich jedoch durch andere, weitaus vielfältigere dramaturgische Traditionen aus. Hier findet man epische, analytische, offene und experimentelle Formen. In diesen spielen ästhetische Mittel wie metaphorische Bilder, die symbolische Aktivierung dramatischer Situationen, dialektische Kontrastierungen und Variationen eine Rolle. Im Vergleich zu einer geschlossenen Dramaturgie verlangt diese Art des Erzählens eine aktivere Rezeption und lädt den Zuschauer zur Interpretation ein. Doch nur auf den ersten Blick wirken diese Filme unregelmäßiger oder gar unfertiger als Werke der geschlossenen Form; im Hintergrund wirken die Gesetze des dramatischen Erzählens, so dass ihre ästhetische Offenheit erst durch Teile der geschlossenen Form ermöglicht wird. Dabei werden jedoch traditionelle dramaturgische Verfahren variiert, gebrochen, fragmentiert und rekombiniert.

In diesem Vortrag werden dramaturgische Verfahren und ihre moderne Adaption anhand verschiedener Filmbeispiele des zeitgenössischen europäischen Kinos vorgestellt und nachvollziehbar gemacht: Asghar Farhadi verbindet in Le Passé (F/I 2013) das klassische Familiendrama mit einer analytischen Dramaturgie; Michael Haneke verlagert in dem epischen Drama Happy End (F/D/AU 2017) die eigentliche Narration ins Implizite, wodurch ein zentrales Thema exemplifiziert wird; Julia Ducournau verbindet in Titane (F 2021) verschiedene Genres auf postmoderne Weise. Diese Filme zeigen, wie facettenreich und vielfältig moderne Dramaturgie sein kann.

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European Storytelling: Epic, open, diverse

Abstract by Christine Lang

In current screenplay guides, mainly 3-act structures and thus models of closed dramaturgy are discussed. Here, the focus is always on a main character and its actions. European cinema, however, is characterised by other, far more diverse dramaturgical traditions. Here one finds epic, analytical, open and experimental forms. In these, aesthetic means such as metaphorical imagery, the symbolic activation of dramatic situations, dialectical contrasting and variations play a role. Compared to a closed dramaturgy, this kind of storytelling requires a more active reception and invites viewers to interpret. But only at first sight do these movies seem more irregular or even unfinished than works of closed form; in the background, the laws of dramatic narration are at work, which means that their aesthetic openness is only made possible by parts of closed form. In the process, however, traditional dramaturgical procedures are varied, broken, fragmented and recombined. In this lecture, dramaturgical procedures and their modern adaptation will be presented and made comprehensible on the basis of various film examples of contemporary European cinema: In Le Passé (F/I 2013), Asghar Farhadi combines the classic family drama with analytical dramaturgy; in the epic drama Happy End, (F/D/AU 2017), Michael Haneke shifts the actual narration into the implicit through which a central theme is exemplified; in Titane (F 2021), Julia Ducournau combines different genres in a postmodern way. These films show how multifaceted and diverse modern dramaturgy can be.

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