Darf/ muss/ sollte Design wehtun?

Gestaltung soll auch schmerzhafte Einsichten vermitteln, sie darf nicht immer nur gefallen bzw. dem leichtfertigen Problemlösungsoptimismus folgen. Es gilt, sich durch Design kritisch zu zeigen: Um die Konsumenten zum Ausstieg aus den bestehenden Selbstverständlichkeiten zu bewegen, steigt der Gestalter zunächst selber aus der Produktionslogik aus. Er verweigert sich den konjugierbaren Dingen, um Dinge zu gestalten, die man nicht mehr im üblichen Sinne besitzen, vorzeigen oder horten kann – dies kann z.B. eine neue Esskultur sein wie bei Martin Guixé, der sich als Ex-Designer bezeichnet, oder die Konzeption ‚kritischer Dinge‘, die nach Anthony Dunne und Fiona Raby überall stattfinden können, wo die Industrie ihren Traum nicht verwirklichen kann, neue Geschäfte zu machen. Unbequemes Design geht historisch schon auf das Radical Design der 1968er Dekade zurück sowie auf alle nachfolgenden Positionen des Anti-Design. Solche Gestaltung will nicht funktionieren, sonder wach rütteln. Zurecht natürlich, Aber damit entfällt wiederum die Suche nach der lesbaren Alltagslösung. Und wer möchte schon 24 Stunden am tag, 7 Tage die Woche wachgerüttelt werden? … Claudia Ganz (Hg.) – Social Design, S. 66

… Wenn wir lernen wollen, weniger Dinge zwanghaft zu konsumieren, sollten wir die Dinge, die wir trotzdem haben wollen, anders betrachten. Solche Dinge möchte man sinnlich und körperlich, kommunikativ und narrativ, sinnstiftend und moralisch, imaginär un utopisch erleben können – darin läge jeweils der Grund, warum wir sie haben. Es handelt sich also um Qualitäten, die man traditionsgemäss der Ästhetik zuschreibt. Doch gilt ausgerechnet die Ästhetik in der Designtheorie immer noch als verfremt, denn man verwechselt sie zu rasch mit der Ästhetisierung der Warenwelt. Wir müssen also lernen, das Ästhetische wieder im ursprünglichen Sinne als Aisthesis zu verstehen, d.h. als die Fähigkeit, überhaupt eigentliche sinnliche Erfahrungen zu machen, anstatt nur passiv und willenlos zu konsumieren. Mehr Aufmerksamkeit für Dinge zu schaffen, ist die Voraussetzung für einen bewussteren Umgang mit ihnen. … Claudia Ganz (Hg.) – Social Design, S. 68

Den oben aufgeführten Absatz empfand ich im Bezug auf den von Papanek aufgestellten Funktions Komplex und die Differenzierung zwischen Methode und Thelesis (Beispiel Evian-Falsche) interessant. Wodurch oder wie sollte die Verwendung eines Materials, in diesem Beispiel Kunststoff, in der Funktion dieser Flasche eingeordnet werden? Spielen die fertigungsspezifischen Eigenschaften eine wichtigere Rolle, als die gesellschaftliche bzw. umweltbelastende Verwendung eines Materials? In wie weit könnte, müsste oder sollte das Design der Evian-Flasche (vor allem im Bezug auf Methode und Thelesis) überdenkt werden? Bin ich als Designer für diese Zuordnung verantwortlich oder ist es schlussendlich der Konsument? Besteht die Aufgabe meines Schaffens als Designer gerade in solchen Bereichen mehr als nur eine formelästhetische Rolle, oder bin ich schlussendlich der präsenten Konsumgesellschaft, welche offensichtlich Angebot und Nachfrage selber reguliert, so oder so ausgeliefert? Würden solche Zuordnungen das Design als solches, seine Erzeuger und Gestalter wie auch seine Rolle und Verantwortung nicht grundlegend(er) ausrichten?

Ein Gedanke zu „Darf/ muss/ sollte Design wehtun?“

  1. Das könnte Kern und Ausgangspunkt für deinen Essay sein: Betrachtungen einer Evian-Flasche, unter Zuhilfenahme des „Funktionskomplexes“ von Papanek, ergänzt mit Fragen aus dem 21. Jahrhundert. – Dabei kannst du weiter einschränken, kleiner werden und damit auch präziser. Es genügt, wenn du von all den Fragen, die dir in den Sinn kommen und die du notierst, eine oder zwei erörterst, z.B. die Doppelrolle des Designers als Gestalter und Konsument oder die Rolle von Materialwahl und Materialeinsatz oder … –
    Detail: Die von Claudia Ganz angeführten Exponenten des Critical Design heissen Anthony Dunne und Fiona Raby – wohl ein Tippfehler?

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